Kapitel 6: Ein erster Besuch in Ponyville Scootaloo sauste, wild mit ihren Flügeln flatternd, vor dem Schlitten her, der mich in die Stadt brachte. Applejack galoppierte nebenher, und tatsächlich vergingen nicht einmal zehn Minuten, bis wir Ponyville erreichten. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin sollte unsere erste Adresse Raritys Boutique sein - ich fand es nur zu angebracht, ihr für ihre Arbeit, die sie in meine Bekleidung investiert hatte, zu danken, wenn ich sie schon nicht dafür bezahlen konnte. Kaum hatten wir jedoch die ersten Ausläufer des Ortes erreicht, fand ich mich unversehens im Mittelpunkt des Interesses: sämtliche Ponys blieben stehen und ließen, was sie immer sie gerade taten, einfach liegen, um sich zu unserer Gruppe umzudrehen und uns einfach nur anzustarren. Ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln - sicher, die meisten hatten wohl in der Zeitung von mir gelesen, aber von etwas zu lesen oder zum ersten Mal mit den eigenen Augen einen Menschen zu sehen, waren mit Sicherheit zwei unterschiedliche Dinge. Etwas unsicher, wie ich darauf reagieren sollte, tat ich das, was mir als erstes einfiel: ich winkte in einer Mischung, die man vielleicht am besten als "huldvoll" und "salutierend" beschreiben mochte, etwa so wie ein irdischer Staatsmann, der in seiner offenen Prachtkarosse durch die Menschenmengen fährt. Die Reaktionen fielen durchaus gemischt aus: einige Ponys deuteten eine respektvolle Verbeugung an, ähnlich der, mit der sie sonst die Prinzessinnen begrüßen mochten, andere lachten, wieder andere guckten einfach nur verständnislos. Ich ließ mich davon allerdings nicht beirren - stupide im Schlitten zu sitzen und so zu tun, als würde ich kein Pony wahrnehmen, wäre mir schlicht zu arrogant vorgekommen, immerhin war ich in der Menschenwelt selbst oft genug so behandelt worden. Nun, sicher würde sich am Abend noch genügend Gelegenheit bieten, einige der Ponys näher kennenzulernen und die momentan noch herrschende natürliche Distanz zu überbrücken. An der Carousel-Boutique angekommen, stieg ich vom Schlitten ab. "Ich danke dir für die exklusive Fahrt." Scootaloo strahlte fröhlich. "Gern geschehen! Jetzt habe ich in der Schule wenigstens was Interessantes zu erzählen - ooooh, Diamond Tiara wird grün vor Neid werden! Da macht es auch nichts, daß ich...", sie schielte in Richtung ihrer Hinterbeine, allerdings war dort keine Veränderung festzustellen, "... nach wie vor ein Blank Flank bin", führte sie ihren Satz mit einer Prise Enttäuschung darin zu Ende. Dann ließ sie ihre Flügel wieder aufflattern (und schleuderte durch den Luftzug eine beachtliche Wolke Pulverschnee hoch, die mich, sehr zu Applejacks Amüsement, von oben bis unten einstiebte) und war gleich darauf verschwunden. Ich schüttelte, halb amüsiert, halb indigniert ob des Schnees, in den ich nun zur Hälfte gehüllt war, den Kopf, klopfte das weiße Pulver ab und sah mir das Gebäude, vor dem wir standen, an - es war mit Sicherheit nicht billig gewesen und wohl eines der aufwendigeren Bauwerke Ponyvilles. In der Tat erinnerte es, wie der Name bereits vermuten ließ, an ein altertümliches Jahrmarkts-Karussell - offenbar legte seine Bewohnerin Wert auf einen extravaganten Stil. Ich wandte mich der Tür zu, um zu klopfen, hatte aber kaum die Hand gehoben, als eine kleine Wolke aus farbiger Magie (inzwischen hatte ich kein Problem mehr damit, diese Vorgänge entsprechend zu bezeichnen) den Türknauf einhüllte und die Tür einladend aufschwang. Wir traten ein. Drinnen saß, über einen Tisch gebeugt, auf dem eine Nähmaschine, Schnittmusterbögen, Stoffbahnen, Maßbänder und diverse Kleinteile ein fröhliches Durcheinander bildeten, Rarity, eine Lesebrille auf der Nase. Sie blickte von ihrer Arbeit auf, und ich konnte sehen, daß sie in der vorigen Nacht offenbar wirklich wenig Schlaf bekommen hatte, aber sie lächelte, als sie sah, wer sie da besuchen kam. "Oh, wie schön - du trägst meine Kollektion", begrüßte sie uns. "Gefällt sie dir?" "Deswegen bin ich hier", begann ich - vielleicht nicht die allerbeste Wortwahl, denn in ihren Blick mischten sich Zweifel. Bevor sie diese aber artikulieren konnte, sprach ich weiter. "Ich möchte mich in aller Form und sehr herzlich für deine Mühen und Arbeit bedanken - deine Kollektion ist wunderschön. Ich darf ehrlichen Gewissens sagen, noch nie derart exquisite Kleidung getragen zu haben. Leider kann ich nicht dafür bezahlen, da ich nichts von eurem Geld habe, aber falls ich mich irgendwie erkenntlich zeigen kann..." Ihr Gesichtsausdruck änderte sich abermals und wurde nun zu einem breiten Strahlen. "Wirklich? Du magst, was ich aus deinen Sachen gemacht habe?" "Ich habe nie bessere Sachen getragen als die, die du aus meinem alten Zeugs gemacht hast." Ich blickte ihr fest in die Augen und hielt ihr, einer alten menschlichen Gewohnheit folgend, meine offene Hand hin - ich mußte mich erst noch daran gewöhnen, daß ich es in der Mehrheit nicht länger mit Lebewesen zu tun hatte, die ebenfalls über Hände verfügten. "Oh Darling, wie wunderbar! Wie schön, daß es dir gefällt! Wenn du wüßtest, wie schwer und anstrengend es sein kann, die Wünsche von Kunden zu verstehen und so umzusetzen, wie sie es wollen, und wie schön es ist, einfach zu hören, daß man alles richtig gemacht hat, keine Änderungswünsche, kein... ach, was rede ich da." Sie sah einen Moment lang ein wenig irritiert auf meine Hand, schien dann jedoch meine Absicht zu erkennen und hob ihren rechten Vorderhuf. Ich nahm ihn kurz in die Hand und drückte ihn leicht, etwa so, wie ich einem Menschen die Hand geschüttelt hätte. "Eine Sitte der Menschen, um jemanden zu begrüßen oder sich besonders herzlich zu bedanken", erklärte ich, und Rarity kicherte leicht. "Oh, wie schmeichelhaft. - Was das Bezahlen angeht - ich würde nie, nie, nie von einem Gast Geld verlangen! Und das Material... die Edelsteine habe ich selbst gesucht und gefunden, und das übrige Material stellt mir der Hof in Canterlot, da bin ich mir sicher. - Aber wenn du es möchtest, wäre ich dir äußerst dankbar, wenn du gelegentich für ein paar Fotoaufnahmen mit meiner Kollektion zur Verfügung stehen könntest... ich bin sicher, die diversen Modezeitschriften wären höchst interessiert, Photo Finish würde endlich einmal einen Artikel schreiben und Bilder zeigen, die die Modeponys wirklich interessieren, und Hoity Toity würde wohl extra aus Canterlot anreisen, um zu sehen, was Equestria an mir hat. Und vielleicht beschert es mir ja neue Aufträge, wer weiß?" "Wenn ich dir damit helfen kann - jederzeit gerne." "Oh, du bist so wunderbar. Sind alle Menschen so?" "Nicht... alle, befürchte ich... wohl eher nur einige... wenige", erwiderte ich zögernd, denn Rarity hatte mich unbeabsichtigt an den eigentlichen Grund erinnert, weshalb ich überhaupt in Equestria war. "Heute morgen kam Post von Luna", eröffnete ich ihr deshalb, um ihr anschließend vom Brief und dem mysteriösen Gerät zu erzählen. "... und deshalb wollen wir jetzt zu Twilight, sicher interessiert sie das auch. Möchtest du uns begleiten?" Mißmutig sah das wie stets perfekt frisierte weiße Einhornpony auf ihren Arbeitstisch, und ihre Lesebrille verschwand. "Aber ich habe sooooo viel Arbeit, die noch zu erledigen ist... aber mir fehlt sowieso die Inspiration. Ich denke, ich komme mit - wenn ihr mich kurz entschuldigen wollt?" Damit verschwand sie in einem anderen Raum. Fragend sah ich Applejack an, aber diese wußte offenbar auch nicht, was genau Rarity nun vor hatte - allerdings war das auch gar nicht nötig, denn kurz darauf erschien diese wieder vor uns. An ihren Hufen waren stiefelähnliche Kleidungsstücke mit flauschigem oberem Abschluß erschienen, um den Körper trug sie eine edelsteinbesetzte weiße Weste, die ebenfalls gut gefüttert zu sein schien, und um den Hals einen eleganten wollenen Schal. Applejack starrte entgeistert. "Ja, aber meine Liebe - draußen ist Winter! Eine Lady friert nicht gern!", kommentierte Rarity, als sie die Blicke ihrer Freundin bemerkte. Diese schüttelte den Kopf. "Was immer du sagst, Teuerste! Aber was soll'n ich als Farmpony sagn, wenn's richtig kalt wird? Draußen bei mir sind meistns noch paar Grad weniger als hier drinn' inn'er Stadt! Un' Hufstiefel - na gut, dir musses gefalln, Stadtpony." "Hm!" Rarity schüttelte ihre Mähne und wandte sich Richtung Tür. Ich konnte mir ein Grinsen nur schwer verkneifen und beschloß, ein wenig Öl ins Feuer zu gießen. "Sicher, daß du nichts vergessen hast? Trägst du keine Mütze?" Der Blick, mit dem sie mich bedachte, hätte Stahlwände durchbohren können. "Ich soll mir meine Frisur, meine sorgsam frisierte Mähne, mit einer Mütze ruinieren? Ihr Menschen wißt wohl nicht, wie schwer es ist, stets das perfekte Auftreten zu haben? Die Mütze würde meine Haare vollständig ruinieren! - Nein - so kalt ist es nun auch wieder nicht. Damit ich freiwillig eine Mütze über meine Frisur ziehe und diese damit zerstöre, müßte schon Discord persönlich einen Schneesturm entfesseln!" "Wie du meinst, edle Dame." Ich konnte mir das Grinsen nicht länger verkneifen. Rarity schüttelte ihre sorgsam frisierte Mähne demonstrativ zurecht, um mit einem "Hmpf!" endgültig zur Tür zu staksen. Diese öffnete sich von selber, kurz bevor sie sie erreichte, und Applejack und ich folgten ihr. Kaum waren wir draußen, schloß sie sich ebenso selbsttätig, wie sie sich geöffnet hatte, und wir gingen ein kleines Stückweit bis zu einem gewaltigen, entfernt hausähnlichen, offenbar bewohnten Baum - Twilights Bibliothek. Bevor ich an der Tür klopfen konnte, öffnete sich diese von selbst, allerdings ohne den hierbei sonst üblichen Schimmer von Magie. Verwundert sah ich mich um - allerdings entdeckte ich nichts und niemanden. "He! Hier unten, Langer!" Verblüfft sah ich nach unten - und fand dort ein Wesen mit lilafarbiger Haut und grünem Schuppenbesatz, das vielleicht nur einen halben Meter hoch sein mochte, dafür aber auf zwei statt vier Beinen ging und offenbar Hände hatte: Spike, wie ich mich der Serie erinnerte. "Ups! 'tschuldigung! Spike, nehme ich an?" "Genau! Und du mußt der Mensch sein, von dem Twilight erzählt hat und von dem heute die ganze Zeitung voll ist! Freut mich, endlich mal jemanden hier zu treffen, der auch Hände hat!" Damit hielt mir der kleine Drache eine seiner Hände hin, und ich griff danach - nur, um sofort recht heftig durchgeschüttelt zu werden. "Da-da-da-das nenne ich doch mal einen ordentlichen Händedruck", kommentierte ich grinsend. Spike feixte breit, dann konnten wir eintreten. Die Tür mündete direkt in einen großen Hauptraum. Die Wände waren nahezu komplett mit meterhohen Bücherregalen bedeckt, und auch im Raum selber standen weitere Regalwände - hier mußten sich hunderte, wenn nicht tausende von Büchern befinden. Nun, vielleicht würde ich hier, zusammen mit Twilight, das nötige Wissen finden, um zu verhindern, daß Equestria und die Erde eins wurden - allerdings gab ich mich keinen Illusionen hin: schon angesichts der schieren Menge an Büchern würde das keine Sache werden, die sich innerhalb eines Tages oder auch nur einer Woche würde erledigen lassen können. "Hi Michael! Schön, dich zu sehen! Schöne Kleider! Schönes Wetter heute draußen! Freut ihr euch auch schon so auf die Party wie ich?" Ein rosafarbiges Etwas war scheinbar aus dem Nichts erschienen und hopste nun fröhlich um uns herum, ein breites Strahlen im Gesicht. Merkwürdig - ich war mir sicher gewesen, dieses Pony bei unserem Eintreten nirgendwo gesehen zu haben. "P-Pinkie? Wo kommst du denn plötzlich her?", fragte ich entgeistert. "Mein Pinkie-Sinn! Ein Kribbeln im rechten Hinterhuf, dann ein juckendes linkes Ohr, dann ein Prickeln in den Haaren meiner Mähne - bedeutet: ein wichtiger Gast erscheint, also sollte ich besser da sein! Oh! Oh! Oh! Da ist es wieder!" - Sie verdrehte die Augen, ihr linkes Hinterbein zuckte dreimal, dann sprang ihr gelockter Schweif in die Waagerechte, als ob eine Sprungfeder darin versteckt wäre. "Tür auf! Tür auf! - Oder nein, halt, besser: Fenster auf! Rainbow kommt!" Ich versuchte erst gar nicht, aus ihren Ausführungen einen logischen Sinn zu erkennen oder gar verstehen zu wollen, wie ihr Pinkie-Sinn funktionierte - dafür bekam ich jetzt persönlich vorgeführt, daß Celestia den Machern der Serie offenbar über Pinkie und ihre besonderen Fähigkeiten keinen Unsinn eingeflüstert hatte und diese bei der Umsetzung erstaunlich detailgetreu vorgegangen waren. Da eine Diskussion offenbar sowieso sinnlos gewesen wäre, ging ich zum Fenster und öffnete es - gerade noch rechtzeitig, um noch aus einiger Entfernung einen hellblauen Schemen heranrasen zu sehen, der eine regenbogenfarbige Leuchtspur hinter sich herzog: tatsächlich konnte es sich wohl um nichts anderes handeln als um das himmelblaue Pegasus-Wetter-Stuntflug-Pony. Rainbow kam mit atemberaubender Geschwindigkeit herangerast, und ich ging unwillkürlich unter dem Fensterbrett in Deckung, da es mir unmöglich erschien, daß sie aus dieser Geschwindigkeit (meiner Schätzung nach mußte sie, wenn die Vergleichsentfernungen ähnlich waren wie bei uns, mindestens 300 km/h schnell sein) rechtzeitig würde anhalten können, konnte aber nicht anders, als meinen Blick starr auf sie fixiert zu halten. Aber das, was ich nicht glauben konnte, geschah tatsächlich: nur wenige Meter und Sekundenbruchteile, bevor sie mit vernichtender Wucht entweder in die Außenwand oder in eines der Bücherregale einschlagen mußte, änderte sie ihre Flügelstellung und hielt praktisch in der Luft an - nahezu ohne Bremsweg. Ein Schwall eiskalter Luft fegte über mich hinweg - nichts anderes als der Luftzug, den sie hinterhergezogen und der sie nun, da sie auf einmal fast ohne jede Geschwindigkeit in der Luft stand, überholte. Fassungslos richtete ich mich auf. "Faszinierend... ich hatte das Schlimmste befürchtet... hast du gerade tatsächlich aus dieser wahnwitzgen Geschwindigkeit heraus mitten im Flug angehalten?" Sie kam herangeschwebt und verbeugte sich mit einem spöttischen Lächeln. "Das? Ich bitte dich, das war doch gar nichts... war doch noch nicht mal ein Viertel meiner Maximalgeschwindigkeit. Und rechtzeitig anhalten, jaaa, das sollte man schon können, wenn man schnell sein und als schnellstes Pony in Equestria eine Zukunft haben will", kommentierte sie mit unüberhörbarem Stolz in ihrer Stimme und entsprechend geschwellter Brust. Dann kam sie zum Fenster hereingeschwebt, landete sacht und elegant mitten im Raum, und wir beide schlossen die jeweiligen Flügel, die wir kontrollierten: sie ihre Schwingen und ich die beiden Flügel des Bibliotheksfensters. Die anderen Ponys grinsten, als sie meine offenkundige Fassungslosigkeit sahen. "Tja, das ist Rainbow... nicht umsonst die beste Fliegerin in ganz Equestria." Unterdessen war von der nahen Treppe ein Trappeln zu hören, und die Bewohnerin und Verwalterin der Bibliothek, Twilight Sparkle, erschien. Anders als ich es erwartet hatte (da ich von mir auf sie schloß), war sie keinesfalls brüskiert über die Invasion ihrer Räumlichkeiten, sondern sah uns einfach nur freundlich an. "Hi everypony - und hallo, Michael. Was führt euch zu mir?" Da nun bis auf Fluttershy alle "Hauptponys" anwesend waren, berichtete ich noch einmal von Lunas Brief und dem Gerät, welches sie mir geschickt hatte. Twilight überlegte. "Wollen mal sehen... Raum der Artefakte... läßt sich beliebig öffnen und verschließen... klingt ganz nach einem magischen Raum, der hiermit geöffnet werden kann. Wir sollten es einfach ausprobieren." "Denkste, daß das 'ne gute Idee is'? Biste dir da sicher, daß da nischt schiefgehn kann?" Twilight kicherte. "In der Wissenschaft muß man solche Risiken manchmal einfach eingehen. Also - los gehts!" Diese Aufforderung hatte offensichtlich mir gegolten. Also nahm ich das Gerät, welches ich seit dem Aufbruch auf der Farm in meiner Jackentasche trug, in die Hand, richtete es eher zufällig auf eine Außenwand - und drückte den Knopf. Eine magische Leuchterscheinung breitete sich aus dem kleinen Apparat aus. Es sah fast aus, als hätte ich einen kleinen Diaprojektor in der Hand, dessen in einem dunklen Grün schimmerndes Licht durch Rauch oder Nebel hindurch ging, wodurch der Lichtkegel sichtbar wurde. Da, wo die solcherart scheinbar leuchtende Luft die Außenwand des Baumes berührte, veränderte sie sich: war dort bis gerade eben nur eine normale Holzwand gewesen, erschien jetzt eine annähernd runde, sicher zwei Meter durchmessende Öffnung, deren Ränder ebenfalls in düsterem Grün leuchteten und die sich ständig aufzulösen und neu zu bilden schienen. Dahinter wurde ein weiterer Raum erkennbar - da, wo eigentlich längst die Außenwelt hätte sein sollen. Nach einigen Sekunden verschwand der leuchtende Magiekegel aus dem kleinen Kästchen in meiner Hand, die Öffnung in der Wand erschien jetzt stabil, und man konnte hindurch sehen: der auf magische Weise erschienene Raum glich am ehesten einer Rumpelkammer. Schon von außen sah ich, daß er wohl nicht besonders groß sein mochte, dafür aber mit einem fröhlichen Durcheinander verschiedenster Gegenstände vollgestellt war. "Fein. Und jetzt? Kann man da hineinmarschieren?" "So würde ich den Brief der Prinzessin jedenfalls verstehen..." "Aber is' das nich' gefährlich?" "Sicher ist es lustig, darin zu stöbern!" "Gefährlich? Klingt nach einer Aufgabe für Rainbow Dash!" Mit diesen Worten erhob sich Rainbow in die Luft, nahm unnötigerweise ein paar Meter Anlauf und rauschte dann mit beachtlicher Geschwindigkeit durch die Öffnung - nur um in dem Raum mit irgendwelchen Sachen zu kollidieren, wie mir das Poltern und Rumpeln aus dem Inneren verriet. "Autsch! Also, hier drin gibt es keine Gegner, steht nur alles voll mit komischem Gerümpel!" Da sich das Portal offenbar ohne weiteres durchschreiten ließ, zuckte ich mit den Achseln und trat mit einem beherzten Schritt ebenfalls hindurch. Ich fühlte dabei... nichts. Obwohl dieser Raum eigentlich gar nicht hätte da sein dürfen, stieg ich einfach nur durch die Öffnung, als ob ich eine normale Türschwelle überschritten hätte, und fand mich im Inneren wieder. Trotz daß ich keine sichtbaren Lichtquellen entdecken konnte, war es nicht komplett dunkel: von irgendwoher kam genug Licht, um immerhin eine gewisse Grundhelligkeit zu erzeugen. Ich drehte mich um zu den anderen Ponys, die unverändert draußen in der Bibliothek standen. "Scheint sicher zu sein, ihr könnt reinkommen. Wäre aber ganz praktisch, wenn wir mehr Licht hätten." Twilight verschwand, um gleich darauf mit einer Art Lampe im Maul wiederzukommen, die eine beachtliche Helligkeit abstrahlte, obwohl sie an keinem Stromkabel hing. Dann folgten mir die Ponys, und ich sah mehr. Rainbow war, wohl, weil ihre Augen sich erst an das Dämmerlicht hier drinnen hatten gewöhnen müssen, mit voller Geschwindigkeit in einen Stapel Kartons gekracht, der daraufhin umgefallen war und dessen Inhalt sich in der Umgebung verteilt hatte. Ich sah Spielzeugfiguren, zerbrochenes Geschirr, vollgeschriebene Blätter, einige Zeitschriften, die bereits Jahrzehnte alt sein mußten, einige Zinnbecher... scheinbar war dieses Sammelsurium von einem Umzug übriggeblieben. Ich schaute mich weiter um, wanderte ein wenig durch die Ansammlung verschiedenster Einzelteile menschlichen Schaffens und fand etwas, was ich nicht unbedingt erwartet hatte: "... siehe da, ein Apple Macintosh", murmelte ich amüsiert, als ich den alten Computer entdeckte, der auf einem eingestaubten Tisch stand. Applejack legte den Kopf schräg und kniff die Augen zusammen. "Was is' los? Was macht'n mein Bruder hier drin? Oder macht ihr Menschn euch etwa über uns lustig?" Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Ich glaube nicht, daß die Menschen, die dieses Ding gebaut haben, je von dir oder deiner Familie gehört hätten. Außerdem ist es runde 30 Jahre alt, ich glaube kaum, daß in der Menschenwelt damals schon je einer etwas von euch gewußt hat." "30 Jahre? Zeig mal her..." Ich deutete auf das veraltete Gerät, welches Röhrenmonitor, Rechner und Tastatur in einem war. "Bitte sehr. Ein recht alter Computer, solche Geräte verwenden wir inzwischen längst nicht mehr, aber so fing alles einmal an." "Und wieso heißt das Ding so wie mein Bruder?" "Apple ist der Name der Herstellerfirma, und Macintosh ist einfach die Modellbezeichnung - wie Apple allerdings darauf gekommen ist, weiß ich nicht. Und der Firmenname - aus Gründen, die ich selber nicht wirklich weiß, hat sich der Firmengründer, ein Mensch namens Steve Jobs, für einen angebissenen Apfel als Logo, als Symbol für seine Firma, entschieden. Hier - sieh selbst." Ich deutete auf das Herstellerlogo an der Vorderseite des Geräts und bemerkte erst jetzt, daß es sich um die damalige Version in Regenbogenfarben handelte. "Tatsache... 'n regenbogenfarbiger Apfel... paßt irgendwie, Rainbow, guck dir das mal an..." Das blaue Pegasuspony hatte sich nach seiner Bruchlandung im Kartonstapel längst wieder aufgerappelt und stand neben uns. Beide Ponys beäugten kurz den regenbogenfarbigen angebissenen Apfel, dann sahen sie sich kurz, aber tief gegenseitig in die Augen - um sofort übertrieben abrupt die Köpfe zu drehen und demonstrativ in andere Richtungen zu schauen. Ich sah diskret zur Seite, und Rarity hüstelte gekünstelt. "Oh, du meine Güte... wie furchtbar... alles voller Staub hier drinnen!" Allerdings tat ihr keiner den Gefallen, irgendwie darauf zu reagieren, also beließ sie es bei einem indignierten Schütteln ihrer Mähne. "Habt ihr Menschn noch mehr Zeugs, was so heißt wie wir hier?", fragte Applejack, in ihrer Stimme eine Spur Mißmut, offenbar darüber, daß ihr Name in der Menschenwelt nicht völlig unbekannt war, wenn auch in Zusammenhängen, die mit ihrer Familie nicht das Geringste zu tun hatten, aber auch unüberhörbar neugierig und - geschmeichelt? Vielleicht traf es das am ehesten. Ich überlegte. "Da war was... vor kurzem habe ich erstmals Werbeplakate gesehen... 'Jack Daniels Winter Apple', da habe ich noch an dich gedacht und den Namen etwas umgedichtet: 'Winter - Apple-Jack Daniels'. Ob davon aber was hier drin zu finden ist, weiß ich nicht." "Un' was soll das sein?" "Kurz gesagt: ein alkoholisches Getränk. 'Jack Daniels' ist eine Whisky-Sorte, das ist schon recht harter Alkohol-Stoff, und diese Winter-Apple-Version davon... ehrlich gesagt, keine Ahnung. Ich habe, wie gesagt, nur die Werbeplakate gesehen, vielleicht ist es eine irgendwie besonders aromatisierte Version davon." "So wie das hier?", kam eine unüberhörbar fröhliche Stimme aus den Tiefen des Lagerraums. Gleich darauf kam Pinkie Pie angehopst, im Maul eine Flasche von exakt diesem Getränk. "Tatsache... Wenigstens sah die Werbung so aus." "Uiii! Klingt lustig! Wenn das so gut schmeckt wie die Äpfel von AJs Farm, kann es nur gut sein!" Sie stellte die Flasche auf dem Tisch mit dem alten Computer ab und beäugte sie mißtrauisch. "Und wie kommt man an das gute Zeugs ran?" Enttäuscht sah sie auf den Schraubverschluß. Ich grinste. "Diese Flaschen und diese Verschlüsse sind von Menschen für Menschen hergestellt - also für Lebewesen mit Händen. Zeig mal her...", ich nahm mir die Flasche, die, wie ich feststellte, noch original verschlossen war, schraubte sie auf und roch daran - und zuckte sofort zurück, als mir scharfer Alkoholgeruch, gemischt mit Apfelaroma, in die Nase stieg. "Uia. Heftiges Zeug." "Zeig ma' her." Applejack kam heran und schnupperte ebenfalls an der Flasche, allerdings fiel ihre Reaktion weniger heftig aus als meine. "Gar nich' ma' übel. Könnt tatsächlich fast von mir sein." Während auch die anderen Ponys und Spike Schnüffelproben nahmen (mit gemischten Reaktionen), sah ich das orangefarbene Farmpony fragend an. "Soll das heißen, ihr kennt Alkohol?" Sie kicherte. "Aber sicher doch. Gut, wir übertreibens normalerweise nich', aber ab un' zu 'n guter Schluck... hat schon was. Aber ich glaub, so'n starkes Zeug ham' wir bisher nich' - zeig mal, muß ich mal kostn. Steht hier irgendwo 'n Glas rum?" Sie sah sich suchend um, und ich nahm entsetzt die Flasche an mich. "Halt! Ich kenne ja eure Trinkgewohnheiten nicht und weiß nicht, wie starke Sachen ihr sonst trinkt, aber ich würde sagen, für eure Körpergröße ist das entschieden zu heftig! Erst recht für diese frühe Tageszeit!" Fünf enttäuschte Ponygesichter und ein sichtlich amüsierter Spike sahen mich an - mit einem Blick, dem ich einfach nicht lange standhalten konnte. "Na gut, wenn es unbedingt sein muß... aber nein, weder hier drin noch jetzt, keine Diskussion. Ich weiß nicht, wie dieses Gesöff auf euch wirkt, ihr wißt es womöglich selber nicht, und wie sähe das denn aus, wenn nachher, am hellerlichten Tag, eine Meute besoffene Ponys durch den Ort taumelt? Außerdem, Rainbow, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß du unter Alkohol noch ordentlich fliegen kannst - und da das hier der Raum der menschlichen Artefakte ist und ich der einzige Mensch bin, habe ich die Verantwortung dafür, was ihr hier mit dem Kram, den wir hier finden, anstellt, und ich kann es eben nicht verantworten, wenn du dann volltrunken mit Schallgeschwindigkeit irgendwo dagegen bretterst. Meinethalben nehmen wir die Buddel hier mit, aber erst für die Party heute abend, und auch dann nur für jeden einen Schluck. Pinkie?" "Ja, Botschafter, hie-ier!" "Ich übergebe dir dieses Zeugs zu treuen Händen, äh, Hufen. Kann ich mich darauf verlassen, daß mit dem Sprit da drinnen bis heute abend keine Dummheiten geschehen?" "Oki-doki-loki! Ist für die Party, nehmen wir erst für die Party!" "Gut. - Außerdem ist da ja noch der Schraubverschluß... ich denke, das sollte reichen." Twilight sah kichernd zu Boden, und auch Rarity blickte amüsiert. Ich sah die beiden Unicorns irritiert an. "Was ist daran so witzig?" Twilight begann zu prusten, während zumindest Rarity genügend Fassung bewahrte, um mir antworten zu können. "Oh Darling. Als ob so ein Verschluß uns aufhalten könnte. Wir sind Unicorns, schon vergessen? Das heißt, wir können Dinge mit Magie bewegen, wie sollte uns da so eine Kleinigkeit daran hindern, die Flasche zu öffnen, wenn wir es unbedingt wöllten?" Ich sah sie verdattert an. "Richtig... daran hatte ich nicht mehr gedacht. Heißt das, ihr könnt den Deckel nur mit Magie aufschrauben?" "Kleinigkeit, mein Lieber!" Ihr Horn begann, violett zu leuchten, ebenso wie der Schraubverschluß - dann drehte sich die Verschlußkappe, der Deckel schwebte auf den Tisch, und die Flasche war offen. Direkt darauf lief der Vorgang noch einmal in umgekehrter Reihenfolge ab, und die Flasche war wieder verschlossen. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. "Wenn das mal gut geht." Ein amüsiertes Kichern war die Antwort, am meisten von allen schien sich Spike zu amüsieren. Rainbow war derweilen weitergegangen. "Ich habe hier etwas entdeckt - ist das so eine Schreibmaschine, von der du gestern gesprochen hast?" Ich ging zu ihr und ihrem Fund - und sah etwas, was ich hier auch nicht unbedingt erwartet hätte (was mich allerdings zu der Frage brachte, was genau ich in einem Raum der menschlichen Artefakte zu erwarten hätte und was nicht - offenbar war diese etwas zu groß geratene Rumpelkammer tatsächlich ein buntes Sammelsurium aller möglicher Gegenstände aus der Welt der Menschen). Vor uns stand eine alte mechanische Schreibmaschine der Firma Underwood. Ein ganz ähnliches Modell besaß und benutzte ich selber, deshalb wußte ich sogar, in welche Zeit dieser Apparat einzuordnen war: die Maschine vor uns war mindestens 80 Jahre alt, wirkte aber, abgesehen davon, daß sie von einer leichten Staubschicht bedeckt war, fast wie neu - was ich von meinem eigenen Exemplar nicht mehr sagen konnte, acht Jahrzehnte Gebrauch waren an ihr nicht spurlos vorübergegangen. "Wow. Ja, das ist so eine Maschine... jetzt kann ich dir zeigen, was mit deinen Federn gestern passiert ist." Ich drückte mit der flachen Hand auf die Tasten und erzeugte folgerichtig eine Anzahl ineinander verkeilter Typenhebel im Korb der Maschine. "Hier, so hat das bei dir gestern auch ausgesehen. Passiert, wenn man das Ding entweder unqualifiziert benutzt oder zu schnell schreiben will... du siehst, es scheint gar nichts mehr zu gehen. Läßt sich aber leicht wieder lösen: ein Griff", ich griff hinein und löste einige der verklemmten Hebel, woraufhin alle Typen wieder in ihre Ausgangsposition zurückfielen, "und das Problem ist beseitigt. Denkbar einfach." Rainbow machte große Augen, offenbar hatte sie sich soeben bildlich den Zustand ihrer Federn nach unserem gestrigen ersten Aufeinandertreffen vorgestellt. "Und... was tut man mit so einer Maschine normalerweise?" "Sehr einfach: man kann damit schreiben. Wesentlich schneller und effektiver, als mit der Hand zu schreiben." "Wow... coole Sache... heißt das, ich brauche die Briefe an die Prinzessin nicht mehr von Hand schreiben?" Spike war neben uns getreten und besah sich die Schreibmaschine mit wachsendem Interesse. "Und wie funktioniert das? Buchstaben drücken?" Er schickte sich an, draufloszutippen, und ich hielt ihn zurück. "Haaaalt, nicht einfach Buchstaben auf die Walze hauen... tut man nicht, damit macht man über kurz oder lang die Walze kaputt. Wenn somepony hier ein Blatt Papier findet, kann ich es euch zeigen." Wie zur Antwort kam das Verlangte herangeschwebt - irgendwo befand sich anscheinend tatsächlich ein Vorrat an Blättern. Ich nahm es aus der Magiewolke und spannte es in die Maschine ein. "Hier, zuerst muß man natürlich Papier einspannen, siehst du, so hier... ", ich justierte das Blatt, "und dann kann man mit den Hebeln schreiben. Das hier ist allerdings noch eine recht alte mechanische Maschine, dazu braucht es etwas Kraft in den Fingern. Mal testen..." Ich schlug einige Tasten an, allerdings erschien auf dem Papier kaum ein Hauch. "Oh. Zu schade. Sieht so aus, als könnten wir das vergessen - das Farbband ist eingetrocknet." "Farbband?" "Die Tinte, wenn du es so nennen willst. Ihr schreibt hier meist mit Tintenfedern, richtig?" "Genau." "Siehst du. Und wenn du eine Feder mit eingetrockneter Tinte an der Spitze nimmst und damit schreiben willst, passiert auch nichts oder wenigstens nicht viel, richtig?" "Stimmt genau." "Bitte sehr. Und hier ist es nicht anders: dieses Stoffband hier", ich deutete darauf, "ist die Tinte der Schreibmaschine. Diese Maschine scheint hier drin aber schon seit Jahrzehnten zu stehen, und entsprechend ist alles eingetrocknet." "Schade... ich hatte gehofft, ich könnte die Schreiberei einfacher haben." Spike trat an den Apparat heran und tippte nun seinerseits einige Tasten. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. "So würde das ohnehin nichts werden, auch mit frischem Farbband nicht... du sollst die Tasten nicht streicheln, sondern richtig anschlagen! So geht das!" Ich tippte meinerseits einige Zeichen, mit demselben Kraftaufwand, den ich von meiner eigenen Schreibmaschine kannte. "Argh! Das ist ja Kraftsport! Und damit soll man schneller und leichter schreiben als mit der Hand? Das ist eher was für die Ponys, die haben mit ihren Hufen vielleicht gerade genug Kraft dafür!" Ich grinste. "Ist alles eine Übungs- und Gewöhnungssache. Außerdem - aber bitte fackel mich deswegen nicht gleich nieder, es ist einfach eine Tatsache - ist diese Maschine auf die Kraft- und Körperverhältnisse erwachsener Menschen hin konstruiert, nicht für noch eher junge und kleine Drachen wie dich. Ich kenne den Drachen-Lebenszyklus nicht, kann mir aber vorstellen, daß du in einigen Jahren oder Jahrzehnten damit ohne Mühe schreiben könntest. Und die Kraft der Ponyhufe... naja, die würde ausreichen, ich befürchte nur, sie sind für die Tasten hier etwas zu groß." Meine Ausführungen wurden mit verständnislosen Blicken quittiert - aber was hatte ich erwartet? Die Bewohner Equestrias bekamen hier erstmalig einige Gegenstände aus einer anderen Welt, die für anatomisch völlig anders konstruierte Wesen geschaffen war, präsentiert - was Wunder, daß sie damit wenig anfangen konnten. "Trotzdem... diese Maschine hätte ich gerne zum Üben. Tinte haben wir ja auch. Kann ich sie haben? Bitte?" "Ich wüßte nicht, was dagegen spricht... von mir aus gerne, nur wirst du sie wahrscheinlich nicht hinaustragen können, dafür ist sie zu schwer, das muß ich machen. Hau ruck...", ich setzte dazu an, die etliche Kilo schwere Maschine anzuheben, als Twilight hinzutrat. "Moment... ich würde gerne versuchen, dieses Ding zu teleportieren. Ich wüßte zu gern, was es mit diesem Raum hier, mit seiner Magie, auf sich hat und ob meine Magie hier funktioniert." Achselzuckend setzte ich das Gerät wieder ab. Twilights Gesichtsausdruck verwandelte sich in einen hochkonzentrierten Blick, ihr Horn begann zu schimmern, eine Wolke aus Magie hüllte die Maschine ein - und gleich darauf war sie verschwunden. Aus Richtung 'normale Welt' erklang ein Poltern - offenbar war tatsächlich etwas draußen in der Bibliothek angekommen. "Hey, cool! Was ist das? Ein zweirädriger Karren? Ein Scooter? Aber wie hält sich dieses Ding?" Offenbar hatte Rainbow, die sich nicht weiter für die Eigenheiten einer mechanischen Schreibmaschine interessiert hatte, etwas anderes Interessantes gefunden. Ich bog um die Ecke, um zu sehen, was sie entdeckt hatte - und begann vor Freude zu strahlen. "Das, meine Lieben, ist ein Fahrrad!" Ich ging näher heran, um es mir anzusehen - und fand zu meiner Freude heraus, daß es sich um ein recht neues, sehr gut gepflegtes Modell handelte: Gangschaltung und Kette waren sauber und frisch geölt, die Pannenschutz-Langlauf-Reifen offenbar neu, die Bremsklötze kaum abgenutzt, die Kabel der Beleuchtung intakt, das Rad verfügte über einen Nabendynamo, und auch eine handliche Hochleistungsluftpumpe fehlte nicht. "Rainbow - meinen herzlichen Glückwunsch und aufrichtigen Dank. Etwas besseres konntest du hier drin für mich nicht finden." "Danke, aber warum... ähm... ich meine - gern geschehen! Was würdet ihr nur ohne mich machen?" Sie strahlte mich begeistert an. "Tja, ohne dich wären wir wohl aufgeschmissen", feixte ich. "Und warum ich mich so hierüber freue, ist ganz einfach: dieses Fahrrad nehme ich mir mit! Ihr wißt ja inzwischen, daß wir Menschen zu Fuß recht langsam unterwegs sind - deshalb haben wir uns seit alters her Fortbewegungsmittel konstruiert, mit denen das Ganze etwas schneller geht. Es gibt welche mit Motoren, die wir also nicht durch unsere eigene Kraft bewegen, und es gibt welche, die wir selber, nur durch unsere eigene Energie, bewegen können - so etwas wie das hier. Hier drinnen kann ich es euch nicht zeigen, dazu ist hier zu wenig Platz - aber mit diesem Ding halte ich mit eurer normalen Schrittgeschwindigkeit auf jeden Fall mit." "Aber einen Sonic Rainboom schaffst du damit nicht zufällig?" Rainbow zwinkerte mich an. "Nein... so schnell werden wir damit auch wieder nicht, so viel Energie kann kein Mensch aus sich selbst heraus freisetzen. Die Höchstgeschwindigkeit, die die absoluten Profis unter uns mit speziellen Fahrrädern erreichen, dürfte bei um die 60 Kilometer in der Stunde liegen, mehr ist nicht drin." "Immerhin... für eine Art, die zu Fuß kaum von der Stelle kommt, nicht schlecht." Da wir inzwischen nahezu den gesamten Raum einmal durchstöbert hatten, beschlossen wir, es für diesen ersten Besuch gut sein zu lassen. Ich nahm mir mein neues Fahrrad - denn das war es jetzt ja wohl - mit nach draußen, und schon befanden wir uns wieder in Twilights Bibliothek. Ich nahm das kleine Kästchen aus meiner Hosentasche, drückte den Knopf, und es geschah, was ich schon halbwegs erwartet hatte: der Kegel aus grünlich leuchtender Luft erschien erneut für einen kurzen Moment, dann schloß sich die leuchtende Öffnung im Raum wie die Verschlußblende eines Fotoapparates, und da, wo das Portal zum Raum der menschlichen Artefakte eben noch gewesen war, befand sich nun wieder nur die Außenwand von Twilights Hausbaum. Spike hatte derweil entdeckt, wo seine Schreibmaschine gelandet war: sie hing halb auf dem untersten Brett eines Bücherregals, die Bücher, die dort gestanden hatten, waren heruntergefallen - offenbar war das die Ursache des Polterns gewesen, das ich gehört hatte. "Ähm, Twilight? Sollte das hier so aussehen?" Die Angesprochene kam herbei und machte ein halbwegs entsetztes Gesicht. "Nein! Das Ding sollte auf dem Tisch hier drüben landen! Warum hat das nicht funktioniert? Habe ich etwa den Teleportationszauber falsch angewendet? Oder nicht richtig gelernt? Was ist hier schiefgelaufen?" "Nun ja... ich kenne mich zwar nicht wirklich mit eurer Magie aus", schaltete ich mich ein, "könnte es aber sein, daß es etwas damit zu tun hat, daß dieser Artefakte-Raum... irgendwie magisch ist?" Eigentlich hatte ich etwas von einem extradimensionalen Raum erzählen wollen, der offenbar in einer Falte des normalen Raum-Zeit-Gefüges eingebettet war, hatte mich aber noch rechtzeitig erinnert, daß diese Bezeichnungen bei den Ponys weniger üblich waren. Twilight seufzte erleichtert. "Das wird es sein. Moment, das haben wir gleich...", wieder erschienen der Ausdruck von Konzentration in ihrem Gesicht und die magischen Leuchterscheinungen, und nur Sekunden später verschwand die Schreibmaschine von ihrem unsicheren Platz im Bücherregal, um auf dem Tisch, akkurat ausgerichtet, wieder zu erscheinen. "Celestia sei Dank, mein Zauber funktioniert doch." "Da wir von Celestia reden... ich wüßte gern, wo ich mich eigentlich befinde. In Equestria und da in Ponyville, schon klar, aber ich hätte gern mehr Überblick. Gibt es hier so etwas wie einen Atlas, eine Landkarte?" "Kommt sofort!" Eines der Bücher, ein großformatiges, aber nicht allzu dickes Exemplar, begann zu schweben und kam auf mich zu, und ich griff danach. Nachdem ich einen Stuhl gefunden hatte, setzte ich mich und schlug es auf - 'Karten des Himmels, der Sterne und der Welt' las ich auf der Titelseite, offenbar hielt ich wirklich die Entsprechung eines irdischen Atlas in den Händen. Ich blätterte weiter. Eine unbestimmbare, aber auf jeden Fall sehr lange Zeitspanne später, in der ich nur auf die Seiten gestiert und wie im Wahn hin- und hergeblättert hatte, stupste mich etwas von der Seite an. Ich blickte auf und sah in Rainbows besorgtes Gesicht. Die anderen Ponys standen in einem Halbkreis um mich herum, in ihren Gesichtern und Blicken las ich nicht weniger Sorge als in dem von Rainbow. Spike war verschwunden, dafür war Fluttershy erschienen. "Michael? Michael? Was ist mit dir? Antworte uns doch bitte!" "Was... was ist los?", fragte ich verwirrt, kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, so sehr hatte mich erschüttert, was ich in dem equestrianischen Atlas gesehen hatte. "Seit mehr als einer Stunde sitzt du hier, blätterst in diesem Buch und redest mit niemandem. Wir haben Fluttershy geholt, weil wir Angst um dich hatten, aber du hast auch sie ignoriert. Was ist los mit dir?" Ich schüttelte einige Male den Kopf und blinzelte in dem mühsamen Versuch, wieder in die Wirklichkeit zurückzufinden. Dann sog ich Luft ein, so tief ich nur konnte, und stieß sie wieder aus. "Am besten, ich zeige es euch." Schwerfällig stand ich auf und ging mit meinem Buch zu einem nahen Stehpult. Dort öffnete ich es und deutete auf die Seiten. "Was seht ihr hier?" Als einzige Reaktion las ich Verwirrung in den Gesichtern der Ponys. "Landkarten von Equestria, Abbildungen von den Sternen und vom Himmel... nichts, was wir nicht kennen würden", antwortete Fluttershy vorsichtig. Ich lachte, aber es klang eher wie ein Schrei. "Wollt ihr wissen, was ich hier gesehen habe?" Vorsichtiges Nicken. Ich erzählte es ihnen. Auf einmal war mir klar, wo ich mich befand. Ich wußte nun, wie meine persönlichen Dinge in nur einer Nacht zu mir gebracht werden konnten, denn die Boten der Prinzessin der Nacht hatten wirklich keine weite Strecke zurücklegen müssen - und waren doch unendlich weit gereist. Auch die Gegenstände im Raum der Artefakte kamen nicht wirklich von weit her, genausowenig wie ich selber. In den Beschreibungen des Himmels und der Sterne hatte ich nichts gefunden, was ich nicht seit meiner Kindheit kannte. Sonne, Mond, auch die anderen Planeten des Sonnensystems samt ihrer Trabanten waren vorhanden und richtig beschrieben und eingezeichnet, nur die Namen waren anders. Die Landkarten sahen ebenfalls haargenau so aus wie die, die ich seit langem kannte, und ich hatte Details wiedergefunden, die mich mein Leben lang begleitet hatten - Kontinente, Flüsse, Berge, Seen und Meere befanden sich genau da, wo ich sie in Erinnerung hatte. Auch hier standen lediglich andere Namen, und natürlich lagen die Ansiedlungen anders. All das ließ nur einen einzigen Schluß zu: Ich befand mich nicht auf einer anderen Welt, sondern nach wie vor auf der Erde, ganz in der Nähe meines Heimatortes. Nur daß da, wo dieser sein sollte, sich hier der Everfree Forest erstreckte, und Ponyville in einem Gebiet lag, das in meiner Version der Erde zum Teil Ackerland, zum Teil Wald und von Eisenbahnlinien und Autobahnen durchkreuzt war. "Aber wie kann das sein?", fand Twilight als erste die Sprache wieder, nachdem sich alle Ponys betroffen angesehen hatten. "Das, meine Lieben, läßt nur einen einzigen Schluß zu: dies alles hier ist ein Paralleluniversum, welches parallel zu meinem eigenen existiert, nur daß sich hier eben keine Menschen entwickelt haben, sondern die Lebewesen, die ihr alle schon immer hier kennt. Jetzt verstehe ich auch, was Celestia gestern meinte, als sie von Barrieren und sich vereinigenden Welten sprach: unseren wissenschaftlichen Theorien nach existieren unendlich viele verschiedene Universen parallel zueinander, voneinander getrennt durch normalerweise undurchdringliche Barrieren, und in jeder Ausgabe des Universums sind ein paar Dinge anders als in der vorhergehenden oder der nachfolgenden. Mein Universum ist das der Menschen, dieses hier ist das der Ponys, aber beide Varianten haben denselben räumlichen und zeitlichen Standpunkt. Anders gesagt: ich bin zu Hause, und ihr seid es auch." Verwirrung, gefolgt von langsamem Verstehen, begleitete meine Ausführungen. Ob den Ponys nun dämmerte, was geschehen würde, wenn beide Welten sich wirklich, wie von Celestia vorhergesagt, vereinigen würden, konnte ich nur erraten.