Kapitel 7: Spuren und Erscheinungen im Schnee Nachdem ich herausgefunden hatte, wo ich mich in Wirklichkeit befand, waren wir vielleicht noch eine halbe Stunde in der Bibliothek geblieben. Wie vorauszusehen gewesen war, hatte Twilight mich mit Fragen zu den physikalischen Eigenheiten parallel zueinander existierender Universen regelrecht bombardiert, und ich hatte sie ihr beantwortet, so gut ich konnte - immerhin war auch ich kein Forscher oder Physikprofessor. Wenig erstaunlich und ebenfalls vorhersehbar war gewesen, daß wir die anderen Ponys auf dem Weg dieser Diskussion bereits nach wenigen Minuten verloren hatten, da sie dem, was wir sagten, schlicht nicht mehr folgen konnten - in der Menschenwelt wäre es uns genauso gegangen. Pinkie war, Reime dichtend und vor sich hin singend, durch den Raum gehopst, und die verbliebenen vier Ponys hatten uns teilweise ungläubig zugesehen, teilweise ihre eigenen Gespräche geführt, bis nach einer Weile Rarity die erste gewesen war, die sich höflich, aber bestimmt verabschiedet hatte, da sie, wie sie sagte, noch jede Menge Arbeit zu erledigen hatte. Auch Fluttershy hatte eine Ausrede gefunden, und Pinkie war genauso plötzlich und spurlos, wie sie erschienen war, wieder verschwunden - ein Verhalten, das für sie scheinbar nichts Unnormales darstellte, denn die anderen Ponys schienen daran keinerlei Anstoß zu nehmen und erwähnten ihr eigenartiges Verhalten nicht einmal. Ich hatte mir mein neues Fahrrad genommen, und nun standen wir vor Twilights Hausbaum. "Dann wollen wir doch mal sehen, ob ich hier trotz Schnee mit meinem Fahrrad fahren kann", kündigte ich an, schwang mich auf den Sattel und fuhr los, eine Runde um den Platz, in dessen Zentrum der Baum stand, herum. Ich rutschte und eierte erheblich weniger durch den Schnee, als ich es aus meiner Heimatwelt kannte, und fand, daß es sich im oder besser auf dem hier üblichen Schnee auch mit einem Zweirad recht passabel fahren ließ, vielleicht nicht so gut wie auf einer trockenen Straße im Sommer, aber immer noch um einiges besser, als ich es von daheim gewöhnt war - dort hatte ich bei Schnee stets Probleme gehabt. Daheim nutzte ich seit Jahrzehnten auch im Winter mein Fahrrad, weniger der sportlichen Betätigung wegen, sondern viel mehr aus eben dem Grund, von dem ich den Ponys vorhin im Raum der Artefakte erzählt hatte: um schneller voranzukommen als mit der einzigen den Menschen von der Natur mitgegebenen Fortbewegungsmethode. Seit einigen Jahren besaß ich zwar auch ein Auto, nutzte es allerdings eher selten - die damit verbundenen Kosten waren mir stets sehr hoch vorgekommen, und ich verspürte außerdem wenig Lust, mich ständig mit den Mitgliedern einer bestimmten Teilspezies der Menschen, des Homo automobiliensis, des Auto fahrenden Menschen, herzumzuärgern. Etliche Aktionen, die ich im Straßenverkehr von meinen Mitmenschen hingelegt bekam, hätten eher in eine wilde Actionserie im Fernsehen gepaßt, und bestenfalls ging mir das Benehmen anderer Menschen ohnehin nur auf die Nerven, deswegen fuhr ich selbst nur dann mit dem Auto, wenn das Wetter zum Fahrradfahren zu schlecht, die Strecke zu weit oder die zu befördernden Lasten zu groß waren. Ich steuerte mein Fahrrad zurück zu den Ponys und hielt an. "Respekt, Respekt. Euer Schnee hier ist schöner als der, den ich kenne, hier kann ich sogar mit einem Fahrrad noch recht ordentlich fahren, was in meiner Welt kaum möglich ist." Rainbow grinste mich stolz an. "Dir gefällt unser Schnee? Freut mich, das zu hören! Hufgefertigte Qualität, nur echt aus der Cloudsdaler Wetterfabrik!" "Nun ja... um ehrlich zu sein, mag ich eigentlich keinen Winter, aber mit Schnee wie diesem, auf dem man laufen und fahren kann, ohne einzusinken oder pausenlos wegzurutschen, kann ich mich gut damit arrangieren. Ja, doch, ich muß sagen: gute Arbeit, Frau Wetterleiterin." Etwas Besseres hätte ich vermutlich nicht sagen können. Rainbow hob vom Boden ab und schwebte in rund zwei Metern Höhe, wobei sie einige spöttische Verbeugungen andeutete. "Danke, danke, danke! Ich tue stets das beste, was ich kann, und freue mich, wenn das endlich mal ein Pony anerkennt!" "Doch - das Lob ist verdient." Applejack stöhnte. "Jetzt hör schon off, sie so in'n Himmel zu lobn, sonst kommt'se ja gar nich' mehr von da obn runter. Außerdem isses ja nich' so, daß'se das alles selber machn würde, die ham' da oben paar hundert Pegasi beschäftigt in der Wetterfabrik. Un' der gute Schnee hier liegt sowieso nur auf'n Wegn, damit auch die Ponys, die eben nich' fliegn oder teleportiern könn', nich' monatelang in'ner Bude sitzn müssn - kannst ja dann gleich mal guckn, wie's zwiscchen den Bäumen und auf'n Feldern aussieht, dort liegt nämlich auch nur der normale Billigschnee, in dem wir einsinkn würdn, ich denk mal, da hätteste wohl mit dein'm Zweiraddings keine gute Chance." Rainbow stieg noch einige Meter höher, machte ein Gesicht, auf dem sich Spott und berechtigter Stolz mischten, drehte den Kopf wieder in meine Richtung, wobei sie in Richtung ihrer Freundin nur ein "Hmpf!" von sich gab, schlug aus dem Stillstand in der Luft einen doppelten Rückwärtssalto und landete wieder neben uns. "Schön, daß wenigstens einer hier unser Werk zu schätzen weiß." Applejack verdrehte die Augen, verzichtete aber auf eine Fortsetzung der Diskussion. Derweilen hatte mich Twilight, wie ich auf meinem Fahrrad stand und mich nur mit einem Bein abstützte, fasziniert angesehen. "Erstaunlich! Daß du auf zwei Rädern fahren kannst... fahren und nicht umfallen dabei. Wie machst du das nur? Habt ihr Menschen also doch Magie, daß ihr so etwas könnt?" Ich konnte ein Lachen nicht zurückhalten. "Diese Magie heißt bei uns ganz einfach Gleichgewichtssinn und ist angeboren. Hast du dich noch nicht gewundert, daß wir auf nur zwei Beinen stehen und laufen können, ohne ständig umzufallen?" "Nun ja... zweibeinige Wesen gibt es bei uns ja auch, jetzt, wo du es sagst... ich habe allerdings noch nie ein Wesen auf so einem Ding mit zwei Rädern gesehen, ich hätte gedacht, daß man damit zwangsläufig umfallen muß." "Nicht doch... dafür haben wir ja den Gleichgewichtssinn, um uns sowohl auf nur zwei Beinen als auch auf zwei Rädern halten zu können." "Faszinierend! Könnten Ponys wohl auch auf so einem... Fahrrad fahren?" Ich überlegte. "Nun ja, dieses Rad hier ist vielleicht etwas groß für euch. Aber vorausgesetzt, man hätte ein passend kleineres Fahrrad... entsprechende Halterungen für eure Hufe am Lenker... doch, ich würde vermuten, das wäre möglich." "Und wozu?", schaltete sich Rainbow ein. "Er hat doch gesagt, daß man damit sowieso nicht schneller fahren kann, als ich fliege!" Wie zum Beweis zischte sie davon, entlang derselben Runde, die ich eben gefahren war - nur daß sie sie ungleich schneller absolvierte. Nach vielleicht fünf Sekunden stand sie wieder neben uns. "Ja, stimmt schon... und ich bin mit mein'n Hufn wahrscheinlich auch schneller." Applejack war hinzugetreten und beäugte uns kritisch. Ich zuckte mit den Achseln. "Nun... im Grunde besteht für euch wirklich keine Notwendigkeit für so eine Konstruktion. Aber für mich ist es einfacher und schneller als das normale Gehen, wozu wir Menschen eben nur als Dauerfortbewegung ausgerüstet sind." Damit verabschiedeten wir uns endgültig und machten uns auf den Rückweg zu Applejacks Farm - bis zum Abend, bis zu meiner angekündigten Willkommens-Party, war noch etwas Zeit. Ich fuhr los, Applejack lief neben mir her, und Rainbow tat es ihr fliegend gleich, wobei sie es sich nicht verkneifen konnte, ab und zu einige kleine sportliche Einlagen abzuliefern, indem sie mal hier, mal da unvermittelt in die Höhe schoß, um in der Luft ein paar kompliziert aussehende Kunstflugelemente zu zeigen, um dann wieder herunterzukommen und weiter neben uns herzufliegen. "Sehr hübsch, diese Flugfiguren - aber ich glaube dir auch so, daß du sie kannst", kommentierte ich. Applejack kicherte. "Klingt, als würd dich da jemand noch nich' wirklich kenn'." Rainbow sah zu mir herüber. "Du wunderst dich, warum ich hier immer wieder mal einen Salto, einen Spin oder einen Korkenzieher fliege?" "Nun ja... ehrlich gesagt, ja. Versteh mich nicht falsch, diese Manöver sind beeindruckend und schön anzusehen, ich verstehe nur nicht, daß du sie so zufällig nebenher bei einem normalen Weg vorführst." Sie kicherte. "Die sind nicht zufällig. Ich bin ein Pegasus, richtig?" Ich nickte. "Siehst du. Außerdem die schnellste und begabteste Fliegerin in ganz Equestria, wenn ich das so sagen darf, ohne daß irgendein Pony gleich wieder sagt, das klingt zu angeberisch." Applejack, auf die der letzte Satz offenbar abgezielt hatte, verdrehte übertrieben gespielt die Augen, sagte aber nichts. "Und als Hochgeschwindigkeits-Pegasus ist das Fliegen mein Element, meine natürliche Art der Fortbewegung. Außerdem muß ich üben, trainieren, die Muskeln in den Schwingen fit halten, ich brauche Luft, die durch die Federn rauscht, alles muß in Bewegung gehalten werden - nur normal neben einem Erdpony herfliegen ist auf die Dauer einfach zu langsam, nichts gegen dich, Applejack. Wir könnten ja auch ein kleines Rennen veranstalten - wie wärs?" Ich schüttelte den Kopf. "Abgelehnt - oder meinetwegen auch: hast schon gewonnen. Ich bin zwar mit dem Fahrrad hier ganz passabel unterwegs, aber nicht wirklich trainiert genug, um gegen euch zu bestehen, und als Strecke für ein Radrennen taugt der Schnee-Untergrund hier auch nicht unbedingt. Wenn ihr beide unbedingt wollt, fliegt und rennt ruhig derweilen vor, ich komme nach." "Nee, laß mal... reicht so schon zu. Schneller musses gar nich' werdn." "Weil wir gerade vom Schnee reden... wir sind ja inzwischen außerhalb der Stadt, und hier liegt offenes Land neben uns. Jetzt will ich doch mal das machen, was du mir vorhin empfohlen hast, und mir den Feldschnee genauer ansehen. Wie war das - abseits der Wege liegt anderer Schnee als auf den Wegen? Wie und warum das?" Rainbow blickte nach unten, mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich machte, daß dies nicht unbedingt ihr Lieblingsthema war. "Warum wir das machen... AJ hat es vorhin schon gesagt: normaler Schnee ist billiger und industrielle Massenware, der entsteht praktisch nebenbei. Der Wegeschnee dagegen ist wirklich hufgefertigte Qualität, sehr aufwendig in der Herstellung, wir könnten gar nicht genug solchen Schnee für alle Flächen herstellen, auch wenn wir zehnmal soviele Pegasi in der Wetterfabrik wären. Deshalb gibt es diese beiden unterschiedlichen Sorten, die wir nach Bedarf verteilen." "Ich dachte immer, Schneewolke ist gleich Schneewolke - wie macht ihr das, daß auf den Wegen der gute und abseits davon der billige - ähm, ich meine, der normale Schnee liegt?" Sie lächelte kurz. "Kleinigkeit! Das ist nun absoluter Wetter-Grunddienst, so etwas beherrscht jedes Pegasuspony, das beim Wetterdienst arbeitet. Manche schneller, manche weniger schnell, aber grundsätzlich kann das wirklich jedes Wetterpony - man braucht einfach nur die entsprechenden Wolken passend zurechtschieben. Sag mal, gibt's so etwas in deiner Welt etwa nicht?" "Nicht mal im Ansatz. Wir sind auf das Wetter angewiesen, was wir von Natur aus haben, beeinflussen können wir es nicht." Das himmelblaue Pegasuspony schauderte. "Wie altertümlich... wie furchtbar, das ist ja wie im Everfree Forest. Keine selektiven Niederschläge... uncool. Würde mir nicht gefallen." Ich hielt am Wegesrand an und stieg ab, um mir den Unterschied zwischen den Schneesorten zu betrachten. Applejack hatte recht gehabt: auf dem Weg war die Konsistenz des weißen Materials so beschaffen, daß man darauf gehen und fahren konnte, ohne auf zu große, vereiste Unebenheiten zu treffen oder ständig wegzurutschen, auf dem Feld neben uns dagegen sah der Schnee aus wie der, den ich aus meiner Welt kannte. Vorsichtig machte ich einen Schritt hinein, wobei ich mich an meinem Fahrrad festhielt. Prompt versank ich bis über die Knie, und das Vorderrad sackte ab - offenbar war ich in eine Art Straßengraben hineingeraten, der mit lockerem Schnee gefüllt und deshalb nicht als solcher zu erkennen war. Hinter mir hörte ich erst nichts, dann ein Prusten und Kichern. "Glaubst du uns jetzt?" "Hättn wir dir auch gleich sagn könn'!" "Weiß eigentlich schon jedes Filly..." Ich antwortete nicht, sondern rammte das Fahrrad so in die Schneeansammlung, daß es nicht umfiel, und kletterte und stocherte, anstatt auf den begehbaren Weg zurückzukehren, im Gegenteil noch weiter in Richtung Feld (es konnte sich genausogut um eine Wiese handeln, unter dem Schnee war der Untergrund nicht mehr zu erkennen), denn ich hatte etwas gesehen, was ich hier nicht hätte sehen dürfen und auch nicht sehen wollte, aber es war da gewesen. "He, was'n los? Hier gehts lang!", kam Applejacks Stimme aus Richtung Weg. Ich schüttelte nur den Kopf. "Ich muß kurz etwas nachsehen." Rainbow kam herangeschwebt. "Was ist los?", fragte sie alarmiert - offenbar besaß sie die Fähigkeit, geistig sofort umzuschalten zwischen ihrer Erheiterung über meinen Ausflug in den Tiefschnee und der Erkenntnis, daß ich wohl nicht ohne Grund weiter durch den schlecht passierbaren 'Billigschnee' stapfte. Ich hatte inzwischen den Straßengraben hinter mir gelassen und wühlte mich durch den auf dem Feld deutlich weniger tiefen, aber noch immer lockeren tiefen Pulverschnee, bis ich den Grund für meinen Schneemarsch erreicht hatte. "Hier - das ist los. Kannst du mir sagen, was das ist?" Ich deutete auf die beiden parallelen tiefen Spuren, die von offenbar recht grobstolligen Reifen herrührten, im Nichts mitten in der Schneedecke begannen und nach vielleicht zehn, zwanzig Metern ebenso abrupt endeten. Davor und dahinter war die Schneeoberfläche makellos. Rainbow sah angestrengt auf die Spuren und schüttelte den Kopf. "Ich habe zwar schon viel von Equestria gesehen - aber so etwas noch nicht." "Glaub ich dir. Das könnte daran liegen, daß es diese Spuren hier gar nicht geben dürfte - die stammen von einem Fahrzeug aus meiner Welt. Von einem Auto, um genau zu sein." "Was ist ein Auto?" "Ganz einfach: ein motorgetriebenes Fortbewegungsmittel, wir haben diese in vielfältigen Varianten und Ausführungen. Sie stehen auf vier Rädern, je zwei Räder hintereinander, und auf den Rädern befinden sich Reifen, so ähnlich wie bei meinem Fahrrad, nur entsprechend breiter und stärker. Die beiden einzigen Probleme, die ich mit diesen Spuren habe: zum einen fahren nur Menschen mit Autos herum, und ich sollte der einzige Mensch hier sein. Zum anderen beginnen und enden solche Spuren nicht einfach mitten im Nichts, denn diese Autos können nicht fliegen." "Das... das heißt... hier war kurzzeitig so ein Auto?", fragte Rainbow, der die gesamte Tragweite dieser Entdeckung langsam zu dämmern begann. Ich nickte. "So sieht es wohl aus... und das dürfte nicht sein. Ich verstehe immer mehr, was Celestia mit 'durchlässiger werdenden Barrieren' gemeint hat. Im Grunde ist es ganz einfach: eure Welt ist meine Welt ist eure Welt, alles findet auf derselben Welt statt, nur in verschiedenen Universen, und außerdem sehr wahrscheinlich alles gleichzeitig - hier ist Winter, in meiner Welt war Winter, oder wenigstens das, was man dafür halten könnte. Hier ist also allem Anschein nach ein Fahrzeug, ein Auto, kurzzeitig durch die Barriere zwischen den Universen hindurchgekommen, hier die paar Meter weitergefahren und dann in mein Universum zurückgezogen worden - so etwas in der Art muß hier passiert sein", überlegte ich, wobei die letzten Worte eher mir selbst gegolten hatten, halfen sie mir doch, zu verstehen, was vorgefallen war. "Dann sollten wir die Prinzessin benachrichtigen - aber sie kommt heute abend sowieso zur Party, so, wie ich sie kenne. Hat es bis dahin noch Zeit? Tagsüber ist Celestia immer sehr beschäftigt." Ich überlegte. "Tun können wir und wohl auch sie im Moment sowieso nichts. Gehen wir zurück zum Weg und dann zur Farm... und hoffen wir, daß wir nicht zufällig über noch mehr derartige Spuren meiner Welt stolpern." Ich stocherte durch den Schnee zurück zum Weg, wo Applejack auf uns wartete (Rainbow hatte es leichter: sie überflog die Schneedecke wie gehabt einfach). Allerdings kamen wir nicht dazu, ihr zu erklären, was wir gefunden hatten, denn sie starrte ungläubig den Weg entlang in die Ferne. Wir folgten ihrem Blick - und konnten verstehen, warum sie an uns im Moment keine weiteren Gedanken verschwendete: Vielleicht hundert Meter entfernt war die Luft über dem Weg von einem zuckenden, blitzenden weißen Leuchten erfüllt, und nun hörten wir es auch: ein kracksendes Zischeln, ähnlich dem von elektrischen Entladungen. Die Erscheinung nahm die gesamte Breite des Weges, eine von hier aus nicht zu erkennende Tiefe und runde zehn Meter Höhe ein. Dann verging der Spuk, gänzlich unspektakulär: das Leuchten und Zischeln hörte einfach auf. Dafür schwebte in der leeren Luft über dem Weg auf einmal etwas, was es in Equestria bis gerade eben mit Sicherheit auch noch nicht gegeben hatte: eine elektrische Oberleitung, die von keinem Träger oder Ausleger gehalten wurde, sondern einfach da war. Der Weg war übrigens auch nicht länger einfach ein Weg, sondern wurde von etwas überquert, was eindeutig ein Bahndamm war - ein Bahndamm, der vielleicht zwei, drei Meter links des Weges im Nichts begann, sich über diesen erstreckte und nach ein paar weiteren Metern rechts des Weges wie abgeschnitten aufhörte - zusammen mit der Oberleitung. Ich sah zu den beiden nebeneinander stehenden Ponys. Fassungslos blickten sie auf den Ort des Geschehens, um dann wie auf ein geheimes, unhörbares Zeichen loszugaloppieren, direkt auf den auf so unheimliche Weise erschienenen Bahndamm zu. "Halt! Nicht! Bleibt stehen!", schrie ich mit überschnappender Stimme, riß mein Fahrrad aus dem Schnee und raste wie von Sinnen los, aber natürlich hatte ich gegen die Ponys keine Chance. Wir alle erreichten den Bahndamm nie. Applejack und Rainbow Dash hatten etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als ein Zug kam. Die Luft am linken Rand der Erscheinung flimmerte kurz, dann durchbrach die Front einer S-Bahn das Leuchten, rauschte mit weit über 100 km/h an uns vorbei und verschwand am rechten Rand in demselben Leuchten. Der gesamte S-Bahn-Zug, ein Zug derselben Baureihe, die ich selbst seit Jahrzehnten als meinen Beruf fuhr, folgte ihr auf diese Weise. Es war ein Bild, wie ich es nie zuvor gesehen hatte und was doch vertraut aussah: im Grunde sahen wir einen Bahnübergang, an dem links und rechts Häuser stehen und der von einem Zug passiert wird, auch hier sieht man bekanntlich nie den Zug in voller Länge. Nur daß sich hier statt der Häuser die Landschaft Equestrias befand... Nach wenigen Sekunden war die S-Bahn verschwunden, und ich hatte die beiden Ponys endlich eingeholt. Völlig entgeistert starrten sie auf den noch immer vorhandenen Bahndamm. "Michael... was... bei Celestia... war... das?", fand eine völlig verstörte Applejack als erste die Sprache wieder und wandte sich mit flehentlichem Blick an mich. Auch Rainbow drehte ihren Kopf zu mir, in ihren Augen las ich denselben Gesichtsausdruck wie bei ihrer Freundin. Ich legte das Fahrrad hin, ging in die Hocke und zog beide Ponys in meine Arme. "Habt keine Angst", sagte ich leise, mit deutlich mehr Selbstsicherheit in meiner Stimme, als ich wirklich empfand. "Das war nur ein Zug. Ist schon gut, jetzt ist er vorbei." Rainbow riß sich los und sah mich fassungslos an. "Nur ein Zug?! Wir haben auch Züge, aber die sehen völlig anders aus und fahren nicht so... so... schnell! Zum Hafer nochmal, dieses Ding war schneller als alles andere, schneller als ich! Ist Discord wieder da und hat uns dieses... Ding geschickt?!" Ich lächelte leise, wurde aber sofort wieder ernst. Dann erklärte ich ihnen, was wir da eben gesehen hatten. "Aber es war so... schnell!" "Nein - war es nicht. Ich kenne sogar die Strecke, ich kenne diese Züge, ich fahre sie in meiner Welt selber. Ich weiß jetzt sogar genau, wo wir uns befinden würden, wenn wir in meiner Welt wären, denn ich habe die Fahrzeuge erkannt und weiß, wo die langfahren, und ich weiß auch, wo eine Autobahn neben der Eisenbahnstrecke verläuft. Dieser Zug hier war ziemlich genau 120 km/h schnell, ich bin hier selber - in meiner Welt, versteht sich - unzählige Male mit genau dieser Geschwindigkeit entlanggekommen. Es kam dir nur so schnell vor, weil so eine S-Bahn so groß ist, größer als die meisten beweglichen Objekte, die du kennen dürftest, und sie recht nahe an uns vorbeigefahren ist." Applejack schien ihren Schrecken langsam zu überwinden und trottete wieder los, auf den Bahndamm zu. Rainbow folgte ihr. "Nicht! Bleibt stehen, bei Celestia!", schrie ich, und dieses Mal hörten sie sogar auf mich und sahen sich zu mir um. "Aber wir müssn doch wissn, was'es mit diesem... Bahndamm... auf sich hat!", protestierte Applejack, dieses Mal wieder mit ihrem gewohnten Akzent in ihrer Stimme. Ich schüttelte energisch den Kopf. "Nein! Das heißt, natürlich sollten wir etwas darüber wissen - aber nicht, indem wir einfach blindlings dort hineinmarschieren! Es wird zwar noch einige Zeit dauern, bis der nächste Zug kommt, aber wir wissen nicht, wie weit die Kraftfelder, die dieses Stück aus meiner Welt hierher gebracht haben, sich ausdehnen und was sie anrichten, wenn sie mit Materie aus diesem Universum in Berührung kommen. Ich nehme wenigstens an, daß es so etwas wie Kraftfelder sind... ich habe mal von entsprechenden Forschungen gelesen. Bei einem Experiment ist den Forschern damals die gesamte Bude um die Ohren geflogen, nachdem festes Material und mehrdimensionale Felder miteinander reagiert haben, und ich...", ich schluckte, "ich will nicht, daß euch etwas passiert. Bitte bleibt hier." "Und wie kommen wir dann jetzt weiter zur Farm, wenn wir nicht bis an dieses Dings heran dürfen, weil wir zuviel nicht wissen?" "Berechtigte Frage. Wartet, ich habe eine Idee... wichtig ist ja nur feste Materie aus diesem Universum. Da tut es sicher auch Schnee... das werden wir gleich haben." Ich zog meine Handschuhe aus und griff in den Schnee, der dem Weg lag. Zwar war die Temperatur für mein Vorhaben - ich wollte einfach mit Schneebällen auf den Bahndamm schießen, bis irgend etwas geschah oder sie auf dem Schotter landen würden - zu niedrig, und der normale Schnee vom Feld wäre als Pulverschnee für Schneebälle völlig unbrauchbar gewesen, aber Rainbow hatte hinsichtlich der Qualität des Wege-Schnees nicht zuviel versprochen: ich bekam eine gute Handvoll zu fassen und hatte keine Mühe, einen (zugegeben recht unförmigen) Schneeball daraus zu formen. Ich holte aus und schleuderte ihn in Richtung Bahndamm - er landete nach einigen Metern auf dem Weg. "Aha. Bis dorthin sollten wir auf jeden Fall sicher sein. Bleibt möglichst hinter mir, ich gehe voraus." Damit marschierte ich los, zu der Stelle, an der mein Schneebatzen gelandet war. Ich nahm ihn wieder auf und warf ihn erneut, und wieder landete er unbeschadet auf dem Weg. Ich wiederholte das Spielchen noch genau einmal. Inzwischen hatten wir uns dem Beginn des Dammes bis auf vielleicht zehn Meter genähert und konnten bereits in beide Richtungen des Gleises blicken - und ich war mir, auch ohne es zu sehen, sehr sicher darüber, wie meine beiden Begleiterinnen staunen würden. Entlang der Tiefe der gesamten Erscheinung hatte man einen Blick in meine Welt - in mein Universum. Ich sah all das, was sich in meinem Universum an den entsprechenden Stellen befand, es war, als würde ich in einen Tunnel blicken, der allerdings nicht dunkel war, sondern von einer anderen Realität ausgekleidet. Das Bild, das sich uns bot, war äußerst verwirrend: blickte man von außen, von Equestria aus, auf den unsichtbaren Tunnel durch die Dimensionen, sah man nur die Landschaft, die dort sein sollte; blickte man hingegen hinein, sah man an derselben Stelle das, was in meiner Welt dort war. Selbst das Wetter wurde übertragen: genau wie gestern, als ich nach Equestria gelangt war, herrschte naßkaltes, trübes graues Wetter. Die einzige Stelle, an der ich, egal aus welchem Blickwinkel, auf beiden Seiten Equestria sah, war die Breite der Erscheinung über den Weg. Rainbow schwebte neben mir, ihre roséfarbenen Augen schienen zu rotieren. Offenbar begriff sie noch viel weniger als ich, was wir hier gerade zu Gesicht bekamen, aber ich konnte es ihr nicht verdenken - wer wird schon überhaupt jemals in seinem Leben mit einander überlappenden Universen und Wirklichkeiten konfrontiert? Und gerade auf die Ponys mußte dies in besonderem Maße zutreffen - ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie überhaupt Forschungen in Richtung Multiversum, Vielweltentheorie und die Grundlage all dessen, die Quantenmechanik, anstellten, ganz einfach, weil sie es nicht brauchten. Ein weiteres Mal nahm ich meinen Schneebatzen und warf ihn und war mir schon fast sicher, daß er dieses Mal auf den Schottersteinen des Bahndammes aufschlagen würde. Aber vielleicht fünf Meter vor dem Beginn der Steineansammlung geschah es: der Schneeball blieb für einen Moment regungslos in der leeren Luft hängen, dann erklang ein schwer zu beschreibendes, sich irgendwie elektrisch und bösartig anhörendes, auf jeden Fall aber sehr lautes kurzes Summen, und die Schneeansammlung löste sich in einer kleinen Dampfwolke auf. Ich deutete auf die Stelle, wo sich eben noch ein Batzen equestrianischen Schnees befunden hatte und nun nur noch ein wenig Dampf zu sehen war. "Aha! Seht ihr -" Weiter kam ich nicht. Der gesamte Bahndamm vor uns begann zu flackern, wurde unscharf - und verschwand. Der Vorgang hatte keine zwei Sekunden gedauert. Verblüfft blinzelte ich ein paarmal, um dann alle Vorsicht fahren zu lassen und die verbliebenen Meter bis zu der Stelle, wo sich der Bahndamm bis vor wenigen Sekunden befunden hatte, zu rennen. Ich konnte nicht sagen, wann ich den Fleck erreichte oder ob ich nicht sogar zu weit gerannt war, denn es passierte - nichts. Der Weg war wieder einfach nur ein Weg in Equestria, in der Nähe von Ponyville, es herrschte schönster Bilderbuch-Winter um uns herum, und nichts deutete mehr darauf hin, daß hier jemals ein Stück einer anderen Welt erschienen war. Die nächsten paar Minuten verbrachten wir damit, die Stelle abzusuchen, aber es war so, wie es schon dem ersten Anschein nach ausgesehen hatte: der Bahndamm und sämtliche Spuren waren verschwunden. Fort, als wären sie nie da gewesen und als hätten wir uns alles nur eingebildet. "Was... ist... hier... passiert?", fragte Applejack, ohne jeden Akzent und offenbar in dem verzweifelten Versuch, zu verstehen, was vorgefallen war. Nun, darüber hatte ich mir auch schon meine Gedanken gemacht. "Erklär mir das igendwer!", verlangte sie erneut. Ich sah sie an. "Ich kann dir nur meine Überlegungen anbieten, aber ich bin kein Physiker. Ich vermute: das vieldimensionale Feld, welches den Bahndamm aus meinem Universum in dieses Universum gebracht hat, war nur rein energetisch stabil und tolerant nur gegenüber Materie aus seinem Ursprungsuniversum, nämlich meinem, wurde aber zum Kollabieren gebracht durch Materie aus diesem Universum hier. Dummerweise wird diese Materie dabei jedoch zerstört, aber mit dem Zusammenbrechen des Feldes verschwindet natürlich auch der quantenmechanische Übergang zwischen den Universen, und alles ist, als wäre nichts gewesen." Sie sah mich mit großen runden Augen an, und ich vermutete, daß sie kein einziges Wort von dem, was ich gerade gesagt hatte, verstand - was ich ihr nicht verübeln konnte. Aber ich hatte mich in dem orangenen Farmpony getäuscht. "Das heißt also, wenn sowas wie hier passiert, und irgendwelcher Kram von uns kommt dem Ganzn zu nahe, machts wusch, unser Zeug löst sich auf, und der Tunnel oder das Tor oder wie'n Pony das auch immer nenn' will, verschwindet wieder?" "Exakt das vermute ich. Ich weiß nicht, ob das jedes Mal gleich ist, aber hier war es auf jeden Fall so." "Un' wenn jetzt eine von uns beidn da rein gerannt wär?" Ich brachte es nicht fertig, ihr zu antworten. Ich schluckte, hielt dem nicht einmal vorwurfsvollen Blick ihrer großen emeraldgrünen Augen nicht länger stand, sah zu Boden und schüttelte nur leicht mit dem Kopf. Sie kam zu mir und schmiegte sich, fast wie eine zu groß geratene Katze, an mich. "Is' schon gut. Immerhin haste uns ja zurückgehaltn, als wir losrenn' wolltn, un' Naturgesetze sin' ja nich' deine Schuld." Dankbar ging ich in die Hocke und konnte nicht anders, als sie fest zu umarmen und mein Gesicht in ihrer blonden Mähne zu vergraben. Ich weiß bis heute nicht, ob mir wirklich Tränen aus den Augen schossen oder ich es mir nur einbildete, aber nach einer kleinen Weile merkte ich, wie ein Ponyhuf mir sanft auf den Rücken klopfte. "Aber, aber, is' doch alles gut. Du kannst nichts für dieses Barrier'n-Zeugs zwischen deiner Welt un' uns'rer, und wir mögn dich, das eine hat mit'm andern doch nichts zu tun. Ich bin nur froh, daß du hier warst un' uns davor bewahrt hast, was wirklich Dummes zu machn. Nu sei doch bitte so lieb und laß wen'gst'ns bißchen locker, ich krieg langsam keine Luft mehr", redete sie mit sanfter Stimme auf mich ein. Ich tat, was sie gesagt hatte, und entließ sie zumindest aus meiner Umarmung, aber meine Hände lagen nach wie vor auf ihrem Rücken, und unsere Gesichter befanden sich auf exakt derselben Höhe. Unsere Stirnen berührten sich, und ich blickte aus nächster Nähe tief in ihre smaragdgrünen Augen, in denen ich im Moment nichts weiter las als unendliche Güte und Freundlichkeit - für ein Wesen, welches sie noch gestern nicht einmal gekannt hatte. "Ich hätte es mir nie verziehen, wenn euch etwas passiert wäre - noch dazu durch etwas aus meiner Welt, was ich hätte verhindern können." Ein gekünsteltes Räuspern drang an mein Ohr. "Ahem, Verzeihung, ich hoffe, ich störe nicht zu sehr..." Ich ließ Applejack endlich vollständig los und sah nach oben, wo Rainbow über uns schwebte. "Wenn es dir nichts ausmacht, komm doch bitte mal mit - auch wenn ich dich dafür noch einmal durch den Tiefschnee jagen muß. Da vorne liegt Krimskrams, der vielleicht aus deiner Welt kommt." Im Nu war ich auf den Beinen und hetzte los, zu der Stelle mitten auf offenem Feld, auf die sie gedeutet hatte. Schlauer geworden, übersprang ich den schneegefüllten Straßengraben und erreichte, obwohl ich im lockeren Feldschnee nicht wirklich gut voran kam, sehr schnell den Platz, an dem der multidimensionale Tunnel offenbar geendet hatte. Im Umkreis von einigen Metern lagen kleinere Teile verstreut, die hier ganz sicher nicht her gehörten und die ich penibel einsammelte, um dann mit meiner Ausbeute auf den Weg zu den beiden Ponys zurückzukehren. "Du hast recht - dieses Zeug hier kommt aus meiner Welt, das stammt mit Sicherheit alles von und aus der S-Bahn, die wir hier haben durchfahren sehen. Hier haben wir einen einzelnen abgerissenen Scheibenwischer, das hier ist ein Luftdichtungsring aus der Scharfenbergkupplung - der Kollege wird sich beim nächsten Mal, wenn an dieser Fahrzeugseite ein anderer Wagen angekuppelt werden soll, sicher sehr freuen." Ich konnte mir ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, wußte ich doch selbst, daß, wenn einer dieser Dichtungsringe fehlte, eine Verbindung der entsprechenden Luftleitung nicht mehr möglich war, dort die Luft abblies und man einiges an zusätzlicher Arbeit hatte. "Dann haben wir hier eine leere Getränkedose, die ist praktisch nur noch Müll, einen genauso leeren Kaffeebecher, auch nur Müll, ein paar Mantelknöpfe, einen Stift, ein komplettes Fahrzeugübergabebuch - wollen doch mal sehen...", ich blätterte es auf und fand genau das, was ich es erwartet hatte, "seht ihr: hier ist sogar ein Eintrag von mir selber, das hier habe ich vor einem halben Jahr geschrieben, das ist eine Fehlerbeschreibung zu einem Defekt in der Fahr-Brems-Steuerung, die das Fahrzeug damals hatte, ich erinnere mich daran. Dann haben wir noch einen einzelnen Bremsschlüssel, der kommt aus dem Reservekasten, hier einen zusammengefalteten Regenschirm, und noch den Sportteil der Zeitung von heute. Nettes Sammelsurium... ich nehme an, all diese Einzelteile hat es abgerissen und aus der Bahn rausgerissen, als sie die Feldergrenze des Tunnels passiert hat." "Sportteil? Cool! Kann ich den haben?" Rainbow strahlte mich an, und ich hielt ihr das Gewünschte achselzuckend hin. "Meinetwegen gern, hat mich sowieso nie besonders interessiert." Sie blickte unsicher, und mir fiel ein, daß sie sich wahrscheinlich eben wieder daran erinnert hatte, keine Hände zu haben und den Zeitungsteil deshalb schlecht transportieren zu können, und die gesamte Zeit über das Papier mit dem Maul zu befördern war sicher auch nicht die allerbeste Idee. Grinsend nahm ich die Seiten wieder an mich, faltete sie zusammen und steckte sie in meine Manteltasche. "Gebe ich dir, wenn wir zuhause sind. Bleibt die Frage, was wir mit dem anderen Geraffel hier machen?" "Warum nich' in'n Raum der Artefakte? Is' der nich' speziell für sowas da?" "Hervorragende Idee! Ich wollte sowieso sehen, ob sich dieser Raum überall öffnen läßt, so, wie ich es vermute." Ich zog das entsprechende Gerät aus der Tasche, richtete es in die leere Luft über dem Weg und drückte die Taste. Das Leuchten, welches ich schon in der Bibliothek kennengelernt hatte, erschien wieder, und kurz darauf waberte das Portal in den Raum der menschlichen Artefakte in der Winterluft über dem verschneiten Weg. "Wollen doch erstmal was sehen... wie sieht dieses Portal eigentlich von hinten aus?" Ich ging einmal um die Erscheinung herum - nur um festzustellen, daß es sich um eine zweidimensionale Öffnung im dreidimensionalen Raum handelte. Von den Seiten war das Tor nicht zu sehen, von hinten schien es überhaupt nicht zu existieren, und ich speicherte für mich die Erkenntnis, daß die magische Öffnung im Raum nur von der Seite aus, von der man sie aktiviert hatte, betreten werden konnte. Ich nahm die Gegenstände, die aus meiner Welt nach Equestria gefallen waren, trat ein - im Inneren des Raumes war alles noch so wie zu dem Zeitpunkt, als wir ihn in Twilights Bibliothek verlassen hatten - und legte die Sachen auf einen freien Fleck des nächstbesten Tisches. Dann ging ich wieder hinaus, um den Zugang mit einem weiteren Tastendruck wieder verschwinden zu lassen. Applejack und Rainbow hatten mir nur von außen zugesehen. "Heißt das, du kannst mit Lunas Magiegerät den Raum praktisch überall erscheinen lassen, wo du willst?" "Genau so ist es, so etwas in der Art hatte ich bereits vermutet." "Coooooool!", kommentierte Rainbow anerkennend. "Würde bedeuten, du brauchst nie wieder irgendwelchen Kram mit dir mitschleppen - einfach zuhause Raum aktivieren, Zeug reinschmeißen, und dort, wo du willst, wieder aktivieren und Zeug rausnehmen. Lässig... so was hätt ich auch gerne, macht manches recht praktisch." "Najaaa. Ich tät's nich' machn - klar, zuhause kannste jederzeit rein, aber irgendwo unterwegs 'n magischn Raum erschein' lassn? Am bestn noch da, wo's jeder sieht? Nee, Sugarcube, das laß mal sein, mit sowas haste schnell Ponys, die das auch ham' wolln, und dann haste keine Ruhe mehr." Ich mußte Applejack in Gedanken zustimmen. So eine Art magischer, immer und überall zugänglicher Universalschrank (ich überlegte bei mir, daß das recht genau dem Inventar eines Computerspiel-Adventures entsprach: als Spielerfigur hatte man, obwohl man nur selten über Taschen verfügte, stets eine mehr oder minder gewaltige Ansammlung an Gegenständen griffbereit, ohne daß man jemals auf dem Bildschirm sah, wo diese zwischengelagert wurden, nachdem man sie erworben hatte oder damit ausgestattet wurde) mochte in der Tat recht praktisch sein, konnte aber auch Neider auf den Plan rufen und sollte daher besser mit einiger Vorsicht gehandhabt werden. "Ihr könnt ruhig schon immer losgehen. Ich hole nur mein Fahrrad und komme nach, ich denke doch, daß wir jetzt weitergehen zur Farm." Applejack trabte los, und Rainbow schwebte wieder, wie gehabt, neben und über ihr her. Ich marschierte die Strecke zurück bis zu der Stelle, an der ich das Fahrrad zurückgelassen hatte, nahm es, schwang mich darauf und fuhr los, den Ponys hinterher. Nach kurzer Zeit hatte ich sie fast eingeholt, aber ich verzichtete, als ich näher kam, darauf, bis zu ihnen aufzuschließen - dieser Moment gehörte offensichtlich nur den beiden, und ich fühlte, daß ich nicht das Recht hatte, sie darin zu stören oder mich allein durch meine schiere Anwesenheit aufzudrängen und einzumischen. Applejack und Rainbow Dash liefen beide, ihre Flanken eng aneinandergeschmiegt, nebeneinander her. Applejack hatte ihre Hals an Rainbows regenbogenbunte Mähne gekuschelt, und Rainbow hatte ihrerseits einen ihrer beiden mächtigen Flügel, zu voller Größe geöffnet, über den Rücken und die andere Seite des orangefarbenen Erdponys geschlungen, die Ausläufer der Flügelspitzen berührten zärtlich das außenseitige Cutie mark. Ich mußte kein Experte für die Körpersprache von Ponys sein, um zu verstehen, was ich sah. Die Welt um diese beiden Ponys herum, jene Welt, in der sie geboren und aufgewachsen waren und die ihre Heimat war, würde sich möglicherweise verändern, drastischer und unvorstellbarer, als irgendein Pony das je für möglich gehalten hatte, und die Veränderungen begannen bereits, wie die Reifenspuren im Schnee und die schwer faßbare Zugdurchfahrt bewiesen hatten. Umso wichtiger war es, daß jedes Pony sein Gegenstück hatte, mit dem es allen Widrigkeiten, die das Universum bereithalten mochte, begegnen konnte. Ich bin für dich da, Sugarcube, egal, was passiert. Ich lieb dich, ich vertrau dir und geh mir dir durch dick un' dünn. Ich werde dich beschützen, Farmpony, mit allem, was ich habe, denn du bist meine große Liebe. Nichts soll je zwischen uns kommen, auch wenn das Universum selber zerbricht, oder was auch immer geschehen mag. Wir begegnen ihm zusammen. Du für mich, und ich für dich. Füreinander. Für immer.