Kapitel 10: Wer wäre gern ein Wonderbolt?, Teil 1 Am nächsten Morgen, direkt nach dem Frühstück, hätte ein außenstehender Beobachter ein selbst für seine Verhältnisse geradezu unglaublich energiegeladenes, himmelblaues Pegasuspony mit regenbogenfarbiger Mähne und ebensolchem Schweif sehen können, welches aus dem Stubenfenster des Haupthauses von Sweet Apple Acres flatterte und geradewegs nach oben, in den winterlich klaren Himmel hinein, aufstieg. Nach wenigen Sekunden war Rainbow Dash vom Boden aus nicht mehr zu sehen, und noch eine kurze Zeitspanne später zuckte in der Ferne ein regenbogenfarbiger Blitz durch den Himmel, ein schillernder Ring aus bunten Farben erschien und breitete sich aus, und wiederum einige Sekunden später erreichte uns der Donner des Überschallknalls - Rainbow hatte offenbar die Schallmauer durchbrochen und einen ihrer berühmten Sonic Rainbooms produziert. Fasziniert stand ich am Fenster und verfolgte das Schauspiel. "Warum hat sie es nur so eilig?", fragte ich, ohne dabei ein bestimmtes Pony anzusprechen, aber ich bekam sogar eine Antwort - von Rainbows engster Freundin, Applejack, die den Sonic Rainboom vom benachbarten Fenster aus ebenfalls mit angesehen hatte. "Is' doch ganz klar - sie will so schnell wie möglich zu ihrer Wetterkontrollabteilung, un' die is' in Cloudsdale, das is' schon'n Stück von hier. Sie hat gestern abend gesagt, sie kümmert sich persönlich ums Wetter für den Hausbau, un' was Rainbow einmal sagt, das meint'se auch so." "Und warum muß sie dafür nach Cloudsdale? Hätte es nicht gereicht, wenn sie hier an Ort und Stelle das Wetter ändert?" "Nee... so leicht isses auch wieder nich'. Die Wetterkontrolle muß schon Bescheid wissn, was hier losgeht, damit'se dort nich' denkn, hier geht irgendwas schief, wenn hier auf einmal der Winter vorzeitig beendet wird. Muß schon seine Ordnung ham'. Außerdem könnt' ich mir denkn, daß'se noch paar Pegasi mitbringt, die beim Bau helfn. Weil wir grade beim Thema sind - wir solltn schon mal anfangn, auf dem Platz, wo dein Haus stehn soll, den Schnee beiseite zu räum'n." Wenig später standen wir in der Scheune, in der die Apple-Familie ihre Gerätschaften verwahrte, vor einigen Gebilden, die offensichtlich in Equestria als Schneepflüge verwendet wurden - es handelte sich um große, vierrädrige Fahrzeuge mit schaufelähnlichen Dingen, mit denen wohl der Schnee beiseite geräumt werden sollte. Applejack klemmte sich in einen dieser Apparate. "Yee-haaw! Kann losgehn! Is'n gutes Training für's Winter Wrap Up!" Ich beschloß, es ihr gleichzutun, und stellte mich ebenfalls in eines der Geräte, um dann mit aller Kraft zu drücken und zu schieben. Nachdem ich den Schneepflug bis zum Scheunentor gewuchtet hatte und dort keuchend und schnaufend stehengeblieben war, sah sie mich mit unverhohlener Belustigung an. "Laß ma', Sugarcube, ich denk, das wird nischt... ich hol mal Big Macintosh, sonst wirds wohl wirklich Frühling, bis der Schnee weg is'." Ich schenkte ihr einen giftigen Blick, mußte aber einsehen, daß sie recht hatte - die Schneepflüge waren für die Kraftverhältnisse von Ponys konstruiert, nicht für die von Menschen. Grinsend galoppierte sie davon, um kurz darauf mit ihrem Bruder wiederzukommen. Dieser nahm wortlos meinen Platz ein und trottete gleichmütig mitsamt dem Gerät hinaus - hatte ich das schwere Gebilde kaum von der Stelle gebracht, schien er das Gewicht kaum zu spüren. Nach wenigen Minuten kehrten die beiden Geschwister zurück. "War sonst noch was?", fragte er in seiner gewohnt knappen Art. "Danke, danke - war alles". Der große weinrote Hengst stellte ohne ein weiteres Wort den schweren Schneepflug wieder da ab, wo er bis vor wenigen Minuten gestanden hatte, und verschwand. Ich ging nach draußen, um mir den Bauplatz neben dem Haupthaus anzusehen: der Schnee darauf war komplett verschwunden. Keine Minute zu früh. Vom Himmel her ertönte ein machtvolles Rauschen, und als ich nach oben blickte, sah ich es: Rainbow war, wie Applejack es vorausgesagt hatte, zusammen mit etlichen anderen Pegasi zurückgekehrt. die mehrere Parabolspiegel und andere Gerätschaften mit sich trugen. Rainbow gab am Himmel einige Anweisungen, die ich am Boden nicht mehr verstehen konnte, die anderen Pegasi gingen in Position, und gebündeltes Sonnenlicht fiel zu Boden - direkt auf die Stelle, auf der mein Haus entstehen sollte. Die blaue Wetterkontroll-Leiterin schwebte zu mir herab und blieb auf meiner Augenhöhe in der Luft stehen. "Ich sehe, ihr habt vorgearbeitet. Die Baubrigade wird gleich hier sein - ich habe sie beim Flug hierher antraben gesehen." Wie aufs Stichwort erschienen am Haupttor weitere Ponys, die meisten davon männliche Erdponys, aber auch einige Unicorns waren darunter. Diese levitierten Baumaterial und Werkzeuge, und ohne weitere Umschweife begann der Bautrupp, sich ans Werk zu machen. Hatte ich noch gestern abend halbherzig erwartet, daß es Wochen oder gar Monate dauern würde, bis mein Haus stand, so sah ich mich spätestens jetzt getäuscht - es war gerade einmal Mittag, als der letzte Nagel eingeschlagen wurde, und der Bauleiter, ein dunkelgrauer Hengst mit braunen Haaren, versicherte mir, daß die Innenausstattung spätestens in weiteren zwei Stunden komplett sein würde. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie unglaublich schnell der Hausbau vonstatten ging. "Tja - Celestia hat angeordnet, daß dieses Projekt ausgeführt wird, und was die Prinzessin sagt, wird gemacht. Und da es im Moment sowieso keine anderen Bauprojekte gibt, die erledigt werden müssen, und dadurch jede Menge Ponys frei sind, geht so etwas eben recht schnell - ich glaube, du liegst ihr wirklich am Herzen." Nach dem Mittagessen begann ich, in Rainbows Zimmer meine Sachen zusammenzupacken, da ich sie wohl wenig später in meine neue Behausung würde bringen können. Die rechtmäßige Besitzerin des Raumes erschien in der Tür. "Du packst? Wie schade..." Ich sah zu ihr. "Ich bin doch nicht weg, ich werde doch gleich nebenan wohnen. Außerdem ist es doch dein Raum hier, du und Applejack, ihr werdet euch doch nicht jede Nacht auf dem Fell hocken wollen... oh, entschuldige, war nicht persönlich gemeint", fügte ich schnell an, als ich bemerkte, wie sie errötete. "Schon in Ordnung... und es stimmt ja, eigentlich ist das auch mein Zimmer hier, jede von uns braucht natürlich auch ihre Freiräume. Aber merkt man wirklich so deutlich, daß sonst nur ich hier drin wohne?" "Nun ja... die Bilder von dir und Applejack, ein Bett aus verfestigter Wolkenmasse, das Plakat der Wonderbolts - schon alles recht eindeutig. Was ich dich fragen wollte: warst du schon immer ein Fan der Wonderbolts?" Ihre Augen begannen zu strahlen, scheinbar hatte ich ihr Lieblingsthema erwähnt. Sie öffnete eine Schublade und förderte ein Fotoalbum zutage, um es auf dem nächstbesten Tisch abzulegen. "Hier, das sind Fotos von mir, als ich noch klein war... die Bilder hat meine Familie gemacht", ein kurzer Anflug von Dunkelheit und Schmerz huschte über ihr Gesicht, fast zu schnell, um überhaupt von jemandem wahrgenommen zu werden, aber ich hatte ihn gesehen und merkte, daß es offenbar Ereignisse in ihrer Vergangenheit gab, an die sie sich lieber nicht erinnern wollte. Ich beschloß, diesen unausgesprochenen Wunsch zu respektieren, und ging zu ihr. Die Düsternis war bereits wieder aus ihrem Blick verschwunden, und sie öffnete das Album. "Das bin ich als kleines Filly, gerade einmal zwei Jahre alt", ich sah ein Bild der kleinen Rainbow Dash, das offenbar auf einer Flugschau der Wonderbolts entstanden war und auf dem sie begeistert in Richtung Himmel sah, offenbar fand dort gerade die Vorführung (auf dem Bild nicht sichtbar) statt. Gleich daneben kam ein anderes Foto, vo dem ich vermutete, daß es daheim aufgenommen worden war: Filly-Rainbow hielt ein Plüsch-Pony, das offensichtlich einen Wonderbolt darstellte, im Maul und blickte aus großen strahlenden Augen in die Kamera. Die erwachsene Rainbow neben mir blätterte um, und weitere Bilder erschienen: eine nun schon etwas größere Rainbow, die von schräg oben fotografiert worden war, hielt einen Stift im Maul, neben ihr lagen weitere Stifte, vor ihr ein Blatt Papier, auf dem sie ein Pony in Wonderbolt-Uniform gezeichnet hatte. Auf dem nächsten Foto schien ein Unicorn mit im Raum gewesen zu sein, denn zwei weitere Wonderbolt-Plüschponys schwebten, umgeben von dem typischen farbigen Leuchten der Unicorn-Magie, durch die Luft, verfolgt von den Blicken einer sichtlich hocherfreuten Filly-Rainbow. Es folgten die nächste Seiten: Rainbow, nun bereits halbwüchsig, hatte anscheinend bei einer Tombola Eintrittskarten für eine Flugshow ihrer Idole gewonnen. Eine schlafende Rainbow, die im Traum einen Flügel halb geöffnet hatte und sich fest an eine Wonderbolt-Plüschfigur klammerte. Rainbow bei einer Art Karneval in einer Fantasie-Fliegermontur, die unübersehbar an die der echten Fliegertruppe angelehnt war. Rainbow bei einer Auszeichnung, die ihr von einem gelben Pony in Wonderbolt-Fliegeranzug und mit orangener Mähne überreicht wurde und die ihr Glück sichtlich kaum fassen konnte. "Ist das hier zufällig Spitfire?" Ich sah in ein hell strahlendes Gesicht des Ponys neben mir, scheinbar erlebte sie die Momente, die auf den Fotos festgehalten waren, soeben noch einmal. "Ja, ist sie... sie war die Anführerin, also Captain, der Wonderbolts, als ich ein Filly war, das hier ist auf dem Wettbewerb der besten jungen Flieger, ich habe damals meinen ersten Sonic Rainboom geschafft... und durfte als Belohnung einen ganzen Tag mit den Wonderbolts verbringen. Es war... großartig... awesome, schade, daß sie nicht mehr dabei ist." "Wie? Was? Spitfire ist nicht mehr Wonderbolt-Captain?" Sie sah mich mit leicht verwirrtem Blick an. "Schon seit zwei Jahren nicht mehr... wußtet ihr Menschen das nicht, hat Celestia das nicht mit... ähm... rübergebracht in eure Welt?" "Offenbar nicht. Der letzte Stand, von dem ich weiß - von dem wir Menschen wissen - ist, daß Spitfire so eine Art Ausbilderin und Kommandantin in der Wonderbolt Academy ist und du dort eine Woche verbracht hast, das ist noch gar nicht lange her." Die Verwirrung in ihrem Blick wuchs. "Spitfire und Ausbilderin... davon habe ich nie etwas gehört. Ich mein, wär ja cool, von ihr könnte man bestimmt viel lernen, aber an der Academy sind prinzipiell keine aktiven Flieger, sondern sie hat eigene Ausbilder, die aktiven Flieger kommen nur ab und zu bei Kandidaten-Auswahlen noch dort hin. Und Spitfire ist seit zwei Jahren kein Wonderbolt mehr - ich weiß, sie ist noch nicht so alt, aber als Angehöriger der besten Flugstaffel Equestrias und erst recht als Captain muß man absolut fit sein, und das können Ponys nun mal nicht mehr, wenn sie älter werden - das älteste Pony, was noch je ein Wonderbolt war, war wohl knapp über 40. Spitfire ist jetzt 41, lebt in Canterlot und lehrt an der Royalen Universität höhere Flugphysik und fortgeschrittene Wetterkunde. Der aktuelle Captain der Wonderbolts heißt Arado Flash... was hat die Prinzessin euch da nur über den aktuellen Stand eingeflüstert?" Ich gab ihr eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse, wie sie mir bekannt waren, was bei dem himmelblauen Pony immerhin für einige Erheiterung sorgte. "Ich verstehe zwar nicht, warum sie sich das ausgedacht hat... lustig ist es auf jeden Fall. Aber scheinbar seid ihr wirklich nicht bei allem, was in Equestria passiert, auf dem neuesten Stand. Spaßig." "Oder sie hat sich gar nichts ausgedacht, und das, was wir zu wissen glauben, ist schlicht der Phantasie der Autoren entsprungen - hat Celestia nicht gesagt, daß sie denen nur ein paar gedankliche Anregungen gegeben hat? Also nicht unbedingt eins zu eins alles von hier übermittelt hat, sondern nur einige ausgewählte Sachen?" "Kann auch sein... falls die Gelegenheit mal günstig ist, können wir sie ja fragen. - Hier, das ist der aktuelle Captain der Wonderbolts - Arado Flash." Sie blätterte das Album um auf die letzte Seite. Auf einem Bild, das offenbar kein privater Schnappschuß, sondern eine offizielle Aufnahme war, war eine freundlich dreinblickende Spitfire zu sehen, verbunden mit dem aufgedruckten Gruß Für meine Fans. Ich danke euch für all die wunderbaren Jahre, in denen ihr mich fliegen sehen wolltet, und wünsche euch alles Gute. Auf der anderen Seite des Albums befand sich ein Foto eines weißen Hengstes mit zweifarbig hell- und dunkelrot gestreifter Mähne, die in einer Art sportlicher Zackenfrisur arrangiert war, und hellblauen Augen, die eine energische Entschlossenheit ausstrahlten. Der Pegasus trug ebenfalls die hellblaue Fliegeruniform mit den charakteristischen gelben Streifen der Wonderbolts. Das Bild trug keinen persönlichen Gruß oder gar eine Widmung, lediglich der Name und Titel waren aufgedruckt: Arado Flash, Captain der Wonderbolts. "Das ist der aktuelle Chef?" "So ist es. Ist nicht viel über ihn bekannt... aber er muß ein absoluter Spitzenflieger sein, klar, sonst wäre er nicht Captain. Ich hab ihn ein paarmal bei Flugshows gesehen, seit er dabei ist, er erreicht auch die Schallgeschwindigkeit, vielleicht sogar in noch kürzerer Zeit als ich. Er kann Figuren fliegen, da staune ich nur so, er ist wirklich richtig gut, schon ihm zuzusehen macht einfach nur Spaß... am liebsten würde ich selber mit ihm fliegen. Vielleicht klappt das ja schon bald... Applejack weiß es noch nicht, aber... ich habe wieder eine Bewerbung eingereicht, nachdem die anderen bisher immer abgelehnt worden sind, angeblich, weil ich zu jung wäre. Vielleicht wird es ja dieses Mal was... du hast es ja auf den Bildern gesehen, ich träume davon, ein Wonderbolt zu sein, solange ich denken kann..." Ihr Blick glitt ab, in die unbestimmte Ferne, und ihre Schwingen öffneten sich unwillkürlich leicht, als sie in Gedanken ihren Wunsch auslebte. Ich nahm mir das Album vor und blätterte mir die Seiten durch, die ich noch nicht gesehen hatte: von Rainbow selbst gab es kaum noch weitere Fotos (lediglich ein paar, die sie offenbar beim Abschluß der Flugschule zeigten - natürlich als Klassenbeste - und noch einige weitere, auf denen sie in der Cloudsdaler Wetterfabrik zusammen mit anderen Pegasi zu sehen war, offenbar kurz nachdem sie dort ihre Arbeit angetreten hatte), der Rest der Seiten war entweder leer oder gefüllt mit Bildern einzelner Wonderbolt-Mitglieder. Ich klappte das Buch zu und sah zu der bei mir anwesenden Rainbow Dash - sie stand noch immer mit halb ausgebreiteten Schwingen neben mir, den Hals gesenkt und den ins Leere gehenden Blick starr nach vorn gerichtet, so, als wäre sie mitten in einem Hochgeschwindigkeitsflug. Ihr Körper wiegte sich leicht vor, zurück und zu den Seiten - in Gedanken vollführte sie offenbar gerade die kühnsten Manöver. Ich räusperte mich. Keine Reaktion. "Rainbow?" Immerhin sah sie mich an. "Ja? Was gibts? Hallo Michael, schön, dich hier oben zu sehen." Verwirrt schüttelte ich den Kopf, dann streckte ich die Hand aus und strich ihr sanft durch ihre regenbogenbunte Mähne. "Rainbow... tut mir leid, aber wir sind nicht in der Luft. Du warst dabei, mir zu erzählen, wie sehr du die Wonderbolts magst." Ein spürbares Zittern durchlief das blaue Pony, und ihre Schwingen schlossen sich in einer einzigen fließenden Bewegung. Ihr Blick klärte sich, und sie schüttelte sich. "Entschuldige... ich war wohl in Gedanken. Fliegen ist eben die Natur eines jeden Pegasus, dagegen kommen wir nie wirklich an... schade, daß niemand von meinen Freunden mit mir fliegen kann, Fluttershy könnte es vielleicht, ich bin mir sogar sicher, daß sie es könnte, aber sie will nicht, sie traut es sich selber einfach nicht zu. Deshalb fang ich manchmal an zu träumen... tut mir leid." Ich strich ihr über die Wange. "Ist doch völlig in Ordnung... ich verstehe das, mir ging es früher mit meinen Eisenbahnen ähnlich. Leider klebe ich selber auch auf der Erde fest, ich würde sonst gerne mal eine schöne Runde mit dir fliegen." "Das ist lieb von dir... aber nicht zu ändern." "Also wirst du den Wonderbolts beitreten?" "Vielleicht... ähm, das heißt, auf jeden Fall doch! Immerhin bin ich die beste Fliegerin in Equestria, da muß ich einfach zu den Wonderbolts! Hast ja die Fotos von mir als Filly gesehen... ich hab sie gemalt, ich hab mit ihren Figuren gespielt, von ihnen geträumt, einer der schönsten Tage meines Lebens war der mit Spitfire - selber dazuzugehören würde mein Leben perfekt machen!" "Dann wünsche ich dir viel Glück... gibt es schon einen Termin für die Vorstellung?" "Nein - wie gesagt, bisher ist erst die Bewerbung unterwegs. Ich glaube auch nicht, daß es in den nächsten paar Wochen passiert, im Winter finden nur wenige Flugübungen und entsprechende Vorstellungen statt - die meisten Pegasi würden durch den kalten Fahrtwind bei den sehr hohen Geschwindigkeiten erfrieren." Ich konnte nicht anders, als ihr noch einmal durch ihre Mähne zu streichen. "Ich wünsche dir viel Glück dafür, wenn es soweit ist." "Danke... aber ich denke, für den Moment haben wir genug geschwatzt. Dein Haus wird bald fertig zum Einzug sein, wir sollten weiter deine Sachen zusammensuchen." Den Abend verbrachte ich zusammen mit der Apple-Familie und Rainbow bei einer privaten kleinen Einzugsfeier (Pinkie Pie war, sehr zu meiner Überraschung, weder aus irgendeiner Ecke hervorgeschossen gekommen noch auf sonst irgendeine mehr oder minder originelle Weise erschienen, bis mir Applebloom verriet, daß sie heute höchstwahrscheinlich bei den Cakes foalsitten, also auf deren Kleinkind-Ponys aufpassen, würde). Die Pony-Gesellschaft hatte tatsächlich auf eine mir völlig unklare Weise das Wunder vollbracht: mein eigenes Haus neben dem Haupthaus auf Sweet Apple Acres, ein Haus, welches noch vor 24 Stunden nicht einmal in Planung gewesen war, stand, war voll eingerichtet, sämtliche Installationen funktionierten, und es war bezugsfertig. "Denk dran, daß das erste, was man im neuen Heim träumt, in Erfüllung geht", hatte Applejack gesagt - dummerweise vermochte ich mich beim Aufwachen am nächsten Tag nicht mehr an den oder die Träume der Nacht zu erinnern. *** Einige Monate vergingen. Ich hatte die Gelegenheit, beim traditionellen und alljährlichen Winter Wrap Up zuzusehen, bei welchem die Ponys, die an Wetterkontrolle gewöhnt waren, tatsächlich gemeinschaftlich vor meinen ungläubigen Augen den Schnee auf praktisch allen von ihnen aktiv genutzten Flächen beiseite räumten, die Eisdecken auf Gewässern aufschnitten und alles für den Frühling vorbereiteten. Praktisch über Nacht stieg die Temperatur, die bisher konstant bei leichten Minusgraden gelegen hatte, auf etwa 10 Grad über Null, und der Frühling zog ein. Als die Bäume und die Landschaft grün wurden, konnte ich mein Versprechen, für Raritys Kleiderkollektionen Modell zu stehen, endlich einlösen - bis dahin hatte es Photo Finish stets wegen des fehlenden dekorativen Hintergrundes (kahle Bäume sind nun einmal nicht sonderlich hübsch anzusehen und machen auf Fotos nicht wirklich viel her) abgelehnt, entsprechende Fotosessions zu veranstalten. Die Bilder von mir in den von Rarity entworfenen und hergestellten Kleidern gingen tatsächlich durch ganz Equestria, und obwohl ich es ablehnte, als professionelles Fotomodel zu arbeiten, da ich ja von Celestia mit anderen Prioritäten nach Equestria geholt worden war, halfen die in diversen Modezeitschriften erschienenen Fotos doch spürbar, Raritys Auftragsbücher zu füllen. Celestia, zu der ich seit meiner Willkommensparty keinen persönlichen Kontakt mehr gehabt hatte (genausowenig wie zu Luna, aber ich vermutete, daß es mir damit nicht anders erging als den allermeisten Ponys auch), hatte inzwischen dosiert, aber dennoch gezielt Informationen über den wahren Grund meines Hierseins an ihre Untertanen weitergeleitet - inzwischen wußte praktisch jedes Pony in Equestria, wo ich herkam, daß meine Welt und Equestria irgendwann ineinander übergehen würden, daß es zu vereinzelten Erscheinungen kommen konnte, bei denen Dinge aus der Menschenwelt in die der Ponys gelangen konnten, und daß meine Hauptaufgabe darin bestand, möglichst viel über die Gesellschaft der Ponys zu lernen, um sie dann, wenn der Tag kommen würde, gegenüber meinen Artgenossen zu vertreten. Sie ließ auch nicht unerwähnt, daß die Existenz der Ponys in der Menschenwelt in Form der Cartoonserie und der Brony-Gemeinde durchaus bekannt war, wenngleich die Menschen die Ponys vorerst nur als fiktive Wesen kannten. Ich selbst hielt mehrere entsprechende Vorträge in der Stadthalle von Ponyville, zu denen Ponys aus ganz Equestria kamen. Dank meines Zuganges zu meinem "magischen Inventar", wie ich selbst den Raum der menschlichen Artefakte zu nennen pflegte, konnte ich diese Vorträge seit einigen Wochen recht eindrucksvoll mit Videopräsentationen unterlegen - ich weiß bis heute nicht, ob es Zufall oder von den magischen Prinzessinnen gesteuert worden war, daß ich in jenem Raum alsbald aktuelle Computer, DVDs zu allen möglichen Themengebieten und Beamer vorfand, jedenfalls erleichterten mir diese technischen Gegenstände die Aufklärungsarbeit enorm. Ich vermied, wiewohl es entsprechendes Filmmaterial unter all den DVDs gab, allzu gewalttätige und brutale Darstellungen, um die Ponys nicht unnötig zu beunruhigen oder zu verstören, aber ich darf wohl ehrlichen Gewissens sagen, daß ich die Menschheit ausgewogen darstellte, mit ihren schlechten, aber natürlich auch den guten Seiten. Witzigerweise (und vermutlich durch die Prinzessinnen nicht gänzlich unbeabsichtigt) fand ich auch DVDs mit allen drei Staffeln von "My Little Pony - Friendship is Magic". Allerdings sah ich mir diese nur zusammen mit Rarity, Twilight, Rainbow, Fluttershy, Pinkie, der Apple-Familie, Spike sowie den Cutie Mark Crusaders an (was an sich schon genug Ponys waren, um mein Wohnzimmer auszufüllen) - ich empfand es als unnötig und weniger passend, die Cartoon-Version ihrer Welt allen Ponys auf die Nase zu binden. Immerhin erfuhr ich dadurch, daß zwar wohl das Cartoon-Equestria offenbar über Celestias telepathische Magie dem realen Equestria angenähert war, aber durchaus nicht alle Folgen die tatsächlichen Verhältnisse abbildeten. Daß Spitfire bei den Wonderbolts ausgeschieden und ihr Nachfolger Arado Flash war, hatte mir Rainbow ja bereits erzählt, aber es gab auch noch andere Dinge, die offenbar eher der Phantasie der Serienautoren als Celestias telepathischen Botschaften entsprungen waren: so waren den Ponys die sogenannten Zap Apples unbekannt, genau wie die meisten Kreaturen, die sich im Everfree Forest aufhalten sollten - dieser und besonders die in ihm lauernden Gefahren war offenbar, um gute Geschichten zu erhalten, recht stark übertrieben dargestellt worden. Auch der einzige Zug, der häufiger verwendet wurde, der Friendship Express, existierte zwar, war aber, wie ich mich selbst überzeugen konnte, in Wahrheit weit weniger süßlich-kitschig gehalten als in der Serie, so besaß z.B. die Lok (die zwar, wie ich bei einem meiner Besuche am Bahnhof feststellte, tatsächlich eine Dreizylinder-Heißdampflok war, aber zu meinem Erstaunen mit keinen herkömmlichen Brennstoffen beheizt wurde, sondern ihre Wärmeenergie aus offenbar thermisch aktiven Kristallen bezog, die über eine mir noch unbekannte Energiequelle am Ende eines jeden Betriebstages wieder aufgeladen wurden) keine herzförmigen Fenster oder ein Herzchen auf ihrem Frontscheinwerfer, sondern ähnelte äußerlich eher realen US-amerikanischen Dampfloks des frühen 20. Jahrhunderts. Auch sonst erzählte ich den Ponys so viel von meiner Welt, wie ich nur wußte und ihnen zumuten konnte, ohne daß die Zusammenhänge allzu kompliziert wurden. Allerdings erwiesen sich die Ponys als erstaunlich gelehrig und wißbegierig: während ich meine Tage mit dem Studium zahlloser Bücher oder dem Erkunden der Pony-Gesellschaft verbrachte, gingen sie ihrem täglichen Leben inklusive ihrer täglichen Arbeiten nach, fanden nachmittags, abends oder an freien Tagen jedoch stets genug Energie und Muße, um zu mir zu kommen, mich über meine Welt auszufragen oder sich Videos anzusehen. Rainbow bekam von mir alle Informationen über irdische Sportarten, die ich selber hatte... ein sehr umfassendes Bild menschlicher Leistungswettkämpfe war das zwar nicht, sie war jedoch allemal zufrieden mit dem, was sie erfuhr. Wißbegierig und lernfreudig zeigte sich auch Spike. Diesem (und auch Twilight, die sich stets zu uns gesellte) hatte ich ja versprochen, ihm meine Schrift beizubringen - ein Vorhaben, das schneller ging, als ich je zu glauben gewagt hätte. Nach vielleicht einem Monat, draußen herrschte zu dem Zeitpunkt noch immer Winter, beherrschten er und Twilight das lateinische Alphabet der Menschen so gut wie ihr ureigenes. Nebenbei zeigte ich ihm die korrekte Handhabung der mechanischen Underwood-Schreibmaschine - mit der richtigen Stärke der Tastenanschläge hatte er zwar noch einige Probleme, ich war mir aber sicher, daß diese sich mit der Zeit geben würden. Auf jeden Fall bekam Celestia nun öfters maschinengeschriebene Briefe - ich war mir zwar sicher, daß Spike sie genausogut (und, da er wie fast alle autodidaktischen Schreibmaschine-Anfänger vorerst noch im Ein-Finger-Suchsystem tippte, wohl auch wesentlich schneller) von Hand hätte schreiben können, der junge Drache war aber zu fasziniert von der Mechanik und zu begeistert davon, diese zu benutzen, als daß er sich irgendeine einigermaßen geeignete Gelegenheit, Dokumente eben damit anstatt mit Tinte und Feder zu verfassen, entgehen ließ. Einzig mein Vorhaben, Rainbows Wolkenhaus, welches nach wie vor unverändert und unbeweglich über einem nicht benutzten Teil der Farm schwebte, sowie die Wetterfabrik zu besichtigen, konnte ich bis zum Frühling nicht in die Tat umsetzen - es ergab sich einfach nicht. Es lag nicht einmal daran, daß ich mich nicht hätte auf den Wolken halten können - hierfür hatte Twilight einen Zauber parat, der sämtlichen Nicht-Pegasi-Lebensformen für drei Tage die Fähigkeit verlieh, wie diese auf Wolken laufen zu können (unfairerweise hatte ich einige Untersuchungen angestellt und herausgefunden, daß diese Fähigkeit, egal ob angeboren oder angezaubert, tatsächlich auf nichts anderem als einer elektromagnetischen Abstoßung beruhte: der Träger der Eigenschaft wurde vom Wasserdampf der Wolke einfach genauso abgestoßen wie von fester Materie, allerdings durfte der Wasseranteil nicht zu hoch sein, deshalb konnten auch weder Pegasi noch Verzauberte auf flüssigem Wasser laufen). Auch das Erreichen sowohl des Wolkenhauses als auch Cloudsdales wären kein Problem gewesen: über kürzere Strecken war Rainbow durchaus stark genug, mich mit ihren Vorderhufen durch die Luft zu tragen, wenngleich dadurch auch ihre Fluggeschwindigkeit und Fähigkeit zu extremen Manövern stark beschränkt wurden. Ein paarmal hatte sie mich, obwohl es sie sehr angestrengt hatte, solcherart zu Rundflügen mitgenommen, so daß ich Ponyville nun auch von oben kannte - sie hatte diese Flüge als sportliche Übungen für sich angesehen und gerechtfertigt. Nach Cloudsdale hätte sie mich von anderen Pegasi gemeinsam tragen lassen - jedoch waren immer kurzfristig andere Anfragen bei einem von uns beiden eingetroffen, so daß ein Ganztagesausflug in luftige Gefilde bisher stets nicht zustande gekommen war. *** Nach meiner Zeitrechnung mußten wir im April, vielleicht sogar schon im Mai angekommen sein - es herrschte schönster Frühling, die Tagestemperaturen lagen inzwischen etwa bei 20 Grad, die Natur stand in voller Blüte - was gerade auf Sweet Apple Acres mit seinen hunderten von blühenden Bäumen sehr schön anzusehen war. Aus dem Fenster hatte ich gesehen, daß die örtliche Postzustellerin - ein graues Pegasuspony mit weizenblonder Mähne, ebensolchem Schweif und einer angeborenen Augenfehlstellung, die aufgrund ihrer gelegentlichen Ungeschicklichkeit allgemein nur als "Derpy Hooves" bekannt war - gelandet war und einige Sendungen in den Briefkasten von Sweet Apple Acres eingelegt hatte. Diesen Briefkasten nutzten wir alle zusammen, geleert wurde er immer von demjenigen, der zuerst dazu kam. Also legte ich das Buch über Magie im globalen Maßstab, über welchem ich derzeit brütete (in der Hoffnung, irgend etwas herauszufinden, was mir helfen würde, die Barrieren zwischen den Welten zu verstärken, auch wenn seit einigen Wochen kein neuer Vorfall schwacher oder durchdrungener Barrieren mehr gemeldet worden war - ich gab mich diesbezüglich keinen Illusionen hin, früher oder später würden wieder unbeabsichtigt Verbindungen zwischen der Menschenwelt und Equestria entstehen), beiseite und holte die Post ab: ein Brief an Granny Smith, vermutlich (der Schrift nach zu urteilen) von einer Bekannten in ihrem Alter; Firmenpost für Applejack, ein Flugsportmagazin mit einer großen Titelgeschichte über die Wonderbolts für Rainbow (sie hatte dieses Magazin abonniert), eine Vortragsanfrage zu politischen Themen für mich - und ein Brief an Rainbow Dash, der das Siegel der Wonderbolts trug. Bevor ich das Haupthaus erreichen und die Sendungen verteilen konnte, hörte ich vom Himmel ein Rauschen, und richtig schwebte Rainbow heran. "Tag, Micha. Ging heute wunderbar schnell und unkompliziert in der Wetterfabrik... so müßte es immer sein, und für die nächsten Tage ist auch nichts Aufwendiges geplant. Was für mich dabei?" In den letzten Wochen war sie verstärkt dazu übergegangen, die Kurzform meines Namens zu verwenden - eine Tatsache, gegen die ich nichts einzuwenden hatte. Folgerichtig verwendete ich nun auch für sie diverse Kürzel, was mir anfangs hochgestellte Ohren und hochgezogene Augenbrauen beschert hatte, von ihr aber inzwischen akzeptiert wurde. "Hallo, Dashie - dein Magazin ist da, und ich glaube, auch der Brief, auf den du so lange gewartet hast. Hier, bitte." Ich gab ihr den Brief mit dem Wonderbolts-Logo, und ihre Augen begannen zu leuchten. "Dieses Zeichen... die Wonderbolts... ja-ja-ja... endlich!" Ein freudiges Zittern durchlief ihren Körper, als sie den Brief öffnete und las. Nachdem sie fertig war, ließ sie das Papier fallen, zischte wie ein blauer Blitz vom Boden senkrecht in die Luft und drehte dort etliche Loopings, Schrauben, Korkenzieher-Spins und sonstige Kunstflugfiguren, ohne auch nur einmal abzusetzen. Dann stieg sie noch ein Stück höher, vollführte eine Drehung und schoß auf mich zu - ich konnte gerade noch rechtzeitig meine Arme ausbreiten, bevor sie mich erreichte und mich natürlich prompt von den Füßen riß. Anstatt mich über den Haufen zu fliegen, umklammerte sie mich blitzschnell mit den Vorderhufen und zog mich etliche Meter in die Höhe, frenetisch mit ihren Flügeln flatternd, bevor sie uns beide wieder am Boden absetzte, sich aber weiterhin freudig an mich schmiegte. "Jaaaa! Endlich, endlich, endlich! Wie lange habe ich darauf gewartet!" "Darf ich daraus schließen, daß du zum Vorstellungstest eingeladen bist?" "Aber absolut! Lies selber! Das muß ich sofort AJ erzählen, das kann nicht warten! Wo ist sie, wo ist sie? - Oh - Moment - es ist Vormittag - sie muß also draußen in den Plantagen sein, ich muß zu ihr!" Damit verschwand das himmelblaue Pony, einen regenbogenfarbigen Streifen in der Landschaft hinterlassend. Ich nahm mir den Brief und las: Cloudsdale, 20. Tag des vierten Monats im 1338. Jahr d.H. Celestias Sehr geehrte Rainbow Dash, wir freuen uns über Ihr Interesse an den Wonderbolts und danken für Ihre Bewerbung, unsere Truppe bereichern und verstärken zu wollen. Hiermit laden wir Sie zu einer flugpraktischen, flugtheoretischen, psychologischen sowie persönlichen Vorstellung bei uns ein, nach welcher wir entscheiden, ob Sie geeignet sind, bei den Wonderbolts mitzuwirken. Diese Vorstellung findet statt am 24. diesen Monats, eine Stunde nach Sonnenaufgang, an der Wonderbolt Academy in Cloudsdale. Bitte melden Sie sich auf dem Außenflugfeld bei Arado Flash, welcher Ihre persönliche Vorstellung abnehmen wird. Planen Sie bitte den gesamten Tag ein, da einzelne Teile länger dauern können und noch andere mögliche Kandidaten zu diesem Termin eingeladen werden. Mit freundlichen Grüßen gez. Arado Flash i.A. Aeron Cloudine Nun, damit war Rainbows Freude nur zu verständlich... vielleicht würde sich ihr Traum erfüllen. Ich ging ins Haupthaus, um den Rest der Post zu verteilen. Kurze Zeit später, zum Mittagessen, kam das Paar aus den Tiefen der Plantagen herbei: Applejack, die sichtlich hin- und hergerissen schien zwischen sich widersprechenden Gefühlen, und Rainbow, die nach wie vor ununterbrochen voller überschäumendem Enthusiasmus um sie herum flatterte und offenbar nicht bemerkte, daß ihre Freundin ihre Begeisterung nicht völlig vorbehaltlos teilte. Beim Essen fiel es der angehenden Stuntfliegerin sichtlich schwer, sich auf so etwas Profanes wie die Nahrungsaufnahme zu konzentrieren - sie schien die berühmten Hummeln im Hintern oder besser in den Flügeln zu haben. Im selben Moment, in dem sie den letzten Bissen verschlungen hatte, hob sie vom Sofa ab. "Entschuldigt mich! Der 24. ist schon morgen, ich muß noch etwas trainieren, damit ich die Wonderbolts nicht enttäusche!" Damit war sie zur Tür hinaus. Die anderen Familienmitglieder verschwanden ebenfalls, und ich war mit Applejack allein. Sie schnaufte, und ich beschloß, sie direkt anzusprechen. "Applejack... du mußt mir nicht antworten, wenn es zu persönlich ist. Aber ich habe den Eindruck, daß du über Rainbows Einladung zu der Vorstellung morgen nicht wirklich restlos glücklich bist - kann das sein?" Sie sah mich mißmutig an und schnaubte ergeben. "Ich dacht' schon, mich spricht nie einer drauf an... aber ich kanns genausogut erzähln, is' vielleicht besser, als es mit mir rumzutragn. Siehste, das is' so: Wonderbolt sein war schon immer Dashies größter Traum, ihr sehnlichster Wunsch. Hast ja die Bilder gesehn, als sie noch'n kleines Filly war, seitdem will'se kaum was anderes... un' jetz' ham' die also endlich geantwortet. Ich weiß nich', was ich machn soll... klar, einerseits freu ich mich für sie und gönns ihr, aber and'rerseits... ich will sie nicht verliern. Wenn Dashie wirklich Wonderbolt wird, heißt das für sie, tschüß, Sweet Apple Acres - dann is' unter der Woche Ausbildung un' Training angesagt, dann käm'se höchstens noch am Wochenende her, oder wenn'se Urlaub hat. Un' auch das is' nich' gesagt, wenn'se dort neue Freunde findet, Pegasi wie sie... ich mein, ich bin weder blind noch blöd, ich seh doch, daß'se nich' wirklich glücklich damit is', ständig am Boden zu sein, daß ich - oder übrigens auch du - nich' mit ihr mitfliegn könn'. Ich könnt's ihr nich' verdenkn, wenn'se dort'n andres Pony kenn'lernt... ich bin ebn bloß 'n Erdpony." Betroffen strecke ich meine Arme aus, und das orangene Farmpony verstand die Geste und schmiegte sich an mich. Ich strich über ihre Mähne. "Ich kann verstehen, was du fühlst, was du durchmachst... ich befürchte nur, ich kann nicht wirklich helfen. Aber ich höre dir zu... ich will für dich da sein, wenn du Kummer hast. Zwar glaube ich nicht, daß Rainbow dich wirklich verlassen würde, dazu liebt sie dich zu sehr - ich habe euch beide, seit ich hier bin, oft genug zusammen gesehen. Aber du hast natürlich recht, lange Abwesenheiten unter der Woche sind... hart." Ein Zittern lief durch ihren Körper, dann schien ein Ruck durch sie zu gehen. "Was für'n Pony, was für'ne Freundin, wär ich, wenn ich ihr die Chance auf ihr'n Lebenstraum vermiesn würde... egal, wie das morgen ausgeht, ich werd damit klarkomm' un' ihre Entscheidung akzeptiern. Nicht ich bin wichtig, sondern mir is' wichtig, daß sie glücklich wird... glücklich mit ihr'm Leben und dem, was sie tut. Das, was man am meistn liebt, muß man auch gehn lassn, nich' festklammern... hat schon Granny zu mir gesagt, un' sie muß es wissn. Aber danke für deine Unterstützung... ich weiß es zu schätzn. Erzähl ihr bitte nich', was ich dir jetz erzählt hab, ich will nich', daß'se morgn damit belastet is', sie braucht dort all ihre Kraft." Ihre Stimme hatte bei diesen Worten hörbar gezittert, aber sie gestattete sich selbst keine Tränen, sondern schien sich selbst innerlich wenigstens für den Moment zu stabilisieren, als sie sich aus meiner Umarmung befreite. "Un' jetz' entschuldige mich, ich muß zurück an die Arbeit." Sie sah mir nicht in die Augen, sondern drehte sich abrupt um und stürmte zur Tür hinaus. Am Nachmittag kam Rainbow zu mir. "Micha... mir ist wieder eingefallen, wie wir uns kennengelernt haben, oder besser: was danach passiert ist, damals in der Badewanne. Ich habe jetzt den ganzen Nachmittag trainiert, ich bin fit, aber ich will morgen in Cloudsdale den besten nur möglichen Eindruck machen... würde es dir viel ausmachen, mein Fell, meine Mähne und meinen Schweif mal wieder richtig gründlich mit Shampoo durchzuwaschen?" Erwartungsvoll sah sie mich mit großen runden Augen an - am liebsten hätte ich sie an mich gezogen und geknuddelt, aber ich ermahnte mich selbst, daß ich es hier mit einem denkenden und fühlenden Wesen und nicht mit einem Stofftier zu tun hatte. Stattdessen nickte ich. "Selbstverständlich! Mein wunderbarer Wasch- und Frisiersalon hat für dich immer geöffnet!" Freudig flatterte sie vor mir her nach oben, ins Badezimmer, und landete dort sanft und elegant genau in der Wanne. Ich ließ Wasser ein und suchte Shampooflasche und Handtücher zusammen, als mir etwas einfiel. "Augenblick... gibt es in Ponyville nicht das Spa? Können die Ponys dort dich nicht professioneller behandeln als ich hier?" "Schon... aber hier ist es persönlicher. Ich hätte eigentlich zuerst Applejack gefragt, aber hey, du hast etwas, was kein anderes Pony hat - du hast Hände! Das war so schön damals... ich finde, es gibt keinen passenderen Anlaß, um das zu wiederholen. Ach ja... du hast Rarity mal was erzählt von Frisierzeugs, Haarfestiger oder so ähnlich, da ging es um ihre Frisur. Könntest du so etwas bei mir auch machen, also, ich meine, meine Mähne so zurechtmachen, daß sie einfach... awesome aussieht? Ich will dort wirklich nur den besten Eindruck hinterlassen!" "Ich glaube, die Apples haben so etwas nicht im Haus... aber vielleicht finde ich ja in meinem magischen Inventar etwas. Haarfestiger oder Haarschaum? Kommt sofort, die Dame!" Damit zog ich das Gerät, welches ich an meinem ersten Morgen in Equestria von Luna bekommen hatte und seitdem stets bei mir trug, aus der Tasche und aktivierte den Raum der menschlichen Artefakte, um, solange die Wanne noch nicht voll war, darin herumzustöbern - und ich war nicht allzu überrascht, eine Dose mit Haarschaum zu finden. Ich kehrte zurück zu Rainbow, die derweilen offensichtlich einige Male untergetaucht war und mich erwartungsvoll ansah. "Hier, ich glaube, ich habe etwas passendes gefunden. Aber vorher wollen wir dich erstmal einseifen." Damit schritt ich zur Tat, genau wie damals, vor einigen Monaten - nur daß ich mich dieses Mal außerhalb der Wanne befand und unverändert meine Kleidung trug (daß das nicht die allerbeste Idee war, wurde mir spätestens nach fünf Minuten klar, als die Sachen durch Spritzwasser komplett durchnäßt waren). Ich schäumte das gesamte Pony (außer ihrer privaten Stellen, von denen ich ja nun inzwischen wußte und die ich folgerichtig weiträumig umging mit meinen Händen) ein, und auch die Flügel und Federn ließen wir nicht aus. Nicht daß es sich nicht gelohnt hätte... bei ihren Flugübungen am Tage hatte sich eine beachtliche Menge Staub darin angesammelt. Nachdem wir nach vielleicht einer halben Stunde fertig waren und ich sie mit einem großen Badetuch trocken gerubbelt hatte (was ihr einiges Kichern entlockt hatte, offenbar war sie kitzlig), marschierte sie zielstrebig zum Spiegel. "Und jetzt... le frisur, bitte sehr!" "Sehr wohl, die Dame... aber ich kann nichts versprechen, ich sage es deutlich an: ich bin kein Friseur und habe nicht wirklich Erfahrung damit." Lieb sah sie mich an. "Ich vertraue dir einfach... außerdem sehe ich ja im Spiegel, was du machst." Also begann ich, ihre Mähne zu kämmen, zu legen und mit Haarschaum zu fixieren, wie ich es für richtig hielt. Nach erstaunlich kurzer Zeit, es mochten nicht einmal zehn Minuten vergangen sein, war ich damit fertig: Rainbow trug nun eine sportliche, aber dennoch elegante Frisur, die schon auf den ersten Blick Schnelligkeit, Sportlichkeit und Stil suggerierte - wenigstens für mich. Für sie scheinbar auch, denn sie protestierte nicht, sondern lobte mich im Gegenteil sogar. Gemeinsam überlegten wir, ihren Schweif auf ähnliche Weise zu gestalten, entschieden uns dann aber dagegen - hier hätte es nicht wirklich etwas gebracht. Die Vorfreude des himmelblauen Pegasus zog sich über den Rest des Tages hin. Applejack hingegen sahen wir nur noch ein einziges Mal, und das nur kurz - kurz vor dem Abendessen schaute sie zur Tür herein, nur um mit den Worten "Bin müde, ich muß mich erstma' hinlegn, fangt ohne mich an - ich hol mir nachher selber was" sofort wieder zu verschwinden. Die Szene, so kurz sie auch war, versetzte mir einen Stich ins Herz, und ich hatte Mühe, weiterhin an Rainbows Freude teilhaben zu können... aber das mußten die beiden Ponys unter sich ausmachen. Ich verabschiedete mich ebenfalls, wünschte Rainbow alles Gute und viel Erfolg, da sie am nächsten Morgen zweifelsohne lange vor meinem Aufstehen nach Cloudsdale aufbrechen würde, und ging in mein Haus... allerdings ging mir zu viel durch den Kopf, als daß ich mich hätte entweder auf meine Studien der Pony-Gesellschaft oder der Physik der Welten-Barrieren konzentrieren können, und so verbrachte ich den Abend vor einem der Computer und verschwendete meine Zeit damit, zwei oder gar drei Filme anzusehen.