Kapitel 11: Wer wäre gern ein Wonderbolt?, Teil 2 Am nächsten Tag war Rainbow zur Frühstückszeit erwartungsgemäß bereits abgeflogen. Da ich mich nach wie vor nicht auf meine eigentlichen Arbeiten konzentrieren konnte, bot ich Applejack und Big Macintosh an, ihnen bei ihren Tätigkeiten zu helfen - ein Angebot, welches die beiden dankbar annahmen, so waren überall in den Plantagen über den Winter abgestorbene Äste aus den Bäumen zu entfernen. Ich beteiligte mich, so gut ich konnte. Nach wenigen Stunden bat mich Applejack, den Wagen mit dem Totholz, welches noch zu Heizzwecken genutzt werden sollte, zur Scheune zu bringen. Zwar bot Big Macintosh an, für mich das Fuhrwerk zu ziehen, aber ich lehnte ab - mit dieser Fuhre kam ich selbst zurecht, der Wagen war leichtgängig und seine Last zwar sperrig, aber alles andere als schwer. Gerade als ich am Gebäudekomplex der Farm ankam, sah ich sie: Rainbow Dash. Allerdings sah das blaue Pegasuspony nicht unbedingt wie ein strahlender Sieger aus. Völlig untypisch für sie kam sie nicht etwa geflogen oder gar herangeschossen, sondern sie ging zu Fuß. Ihre Mähne war noch so, wie ich sie am Vortag frisiert hatte, aber ihr Schweif hing schlaff herab und schleifte über den Boden. Ebenso kraftlos hingen ihre Flügel: sie waren nur unordentlich und allenfalls zur Hälfte zusammengefaltet, einige der äußeren Federn glitten ebenfalls über den Boden, ihr Kopf hing herunter, genau wie ihre Ohren. Ihre Augen waren nur so weit geöffnet, daß sie gerade noch erkannte, wo sie hin schlurfte - denn auch die Beine hob sie nicht einmal weit genug vom Boden, um normal zu gehen, sondern sie schlurfte wirklich nur mühsam, fast wie ein uraltes Pony, dahin. Ohne mich wahrzunehmen, verschwand sie im Haus. Ich brachte meinen Karren mit abgeschnittenen Ästen in die Scheune, wie mir Applejack aufgetragen hatte, und überlegte, wie ich mich am besten verhalten sollte. Sollte ich Rainbow ignorieren? Immerhin schien sie niemanden sehen zu wollen, so, wie ihre Augen halb geschlossen und ihr Blick über den Boden geglitten war. Sollte ich Applejack holen? Das würde zweifellos einige Zeit dauern, da ich sie erst erreichen mußte, außerdem würde ich sie damit von ihrer wichtigen Arbeit abhalten (sie hatte ja nicht nur das Ästeverschneiden vor sich). Oder sollte ich - Ich war in meinen Gedanken exakt bis zu dieser Stelle vorgedrungen, als ich ein Geräusch hörte, welches eindeutig aus dem Haupthaus kam und in dem ich einige Stimmenmuster von Rainbow zu vernehmen glaubte. Ich lief ins Haus, bis an die Treppe, als ich es erneut hörte, und dieses Mal erkannte ich das Geräusch. Ein Geräusch, das zu hören ich mich stets gefürchtet hatte, seit ich den Ponys das erste Mal begegnet war, und ein Geräusch, welches nach meiner Meinung einfach nicht existieren sollte. Das harte, krampfhafte, unglaublich schmerzerfüllte Schluchzen und Weinen eines Ponys, das von einer so abgrundtiefen Trauer kündete, wie ich sie diesen liebenswerten Wesen nicht einmal in meinen finstersten Träumen wünschen würde. Mit drei gewaltigen Sätzen stürmte ich die Treppe hinauf. Kein Zweifel: das tränenerstickte Schluchzen kam aus Rainbows Zimmer. Ich stürmte zur Tür, die nur halbherzig angelehnt war, zögerte einen letzten Augenblick - und trat hinein. Obwohl ich darauf hätte gefaßt sein müssen, traf mich der Anblick wie ein harter, vorwarnungsloser Huftritt. Die sonst so stolze Rainbow Dash lag bäuchlings schluchzend und schniefend auf ihrem Bett, die halbgeöffneten Flügel und ihre Beine hingen kraftlos herab. Auf dem Boden lag ihr persönliches Fotoalbum, die erste Seite war aufgeschlagen, und ich erinnerte mich an die Bilder: Filly-Rainbow, wie sie zum ersten Mal die Wonderbolts sah und seither Feuer und Flamme für sie gewesen war, Filly-Rainbow, die mit großen Augen und einer Wonderbolt-Plüschfigur in die Kamera sah, Filly-Rainbow, die ein Bild ihrer Idole gemalt hatte und mit Plüschfiguren spielte. Daneben lag der Brief, den ich gestern aus dem Kasten geholt und der eine fast schon unbeschreibliche Euphorie in ihr entfacht hatte, aber genau wie das Pony selbst hatte er sich verändert: er war zerknüllt und verdreckt. Fast noch schlimmer hatte es das Wonderbolts-Poster getroffen, welches von innen an ihrer Zimmertür gehangen hatte: es lag in Fetzen gerissen im gesamten Zimmer verteilt. Rainbow, die mein Eintreten bemerkt hatte, sah über ihre Schulter aus verquollenen Augen in meine Richtung. "Geh weg! Geht alle weg! Laßt mich... ich will nicht mehr... ich habe es nicht verdient zu leben! Ich habe versagt! Da! Jetzt wißt ihr es! Zufrieden? Laßt mich alle in meinem Elend allein, ich habe es wohl nicht besser verdient...!" Einen Teil ihrer Worte hatte sie mit vollem Stimmaufwand geschrieen, bis ihre Stimme erneut von Tränen erstickt wurde. Ich ging an die Seite ihres Bettes, kauerte mich daneben und legte meine Hand auf ihren Hals, ihre Mähne und damit auch auf ihr Fell - und konnte ihren Herzschlag spüren: er war schnell, hart und sehr unregelmäßig. Dem Pony mußte es sehr schlecht gehen, zumindest wenn ich in dieser Hinsicht von Menschen auf Ponys schließen konnte. "Rainbow... liebe Rainbow... was ist passiert? Bitte, bitte rede mit mir... verlaß mich nicht!" Ich spürte, wie meine eigene Stimme kippte. Rainbow hob den Kopf und blickte mich an, als würde sie erst jetzt bemerken, wer sie da aufgesucht hatte. Dann brachte sie immerhin genug Kraft auf, um ihre Vorderhufe anzuziehen, sich ein wenig aufzurichten und zur Seite zu rutschen, und ich faßte das als Einladung auf, mich zu setzen. Kaum saß ich, war ihr kurzer Energieschub aufgebraucht - sie warf sich an meine Brust und begann erneut hemmungslos zu weinen, während ihr Kopf auf meinen Schoß rutschte. Hilflos begann ich, ihr Gesicht und ihren Hals zu streicheln, während ihre Tränen meine Kleider durchnäßten - ganz ähnlich, wie es noch gestern das Badewasser getan hatte, nur daß der Zusammenhang dieses Mal nicht mehr ansatzweise die fröhliche Natur vom Vortag hatte. Immer wieder stammelte sie etwas, was sich stark nach "Ichwillnichtmehrleben" anhörte, und es vergingen etliche Minuten, bis sich ihr rasender Puls langsam ein wenig beruhighte, aber noch immer wurde ihr Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt. "Rainbow... bitte... sprich doch wenigstens mit mir", stammelte ich hilflos. "Erzähl mir doch wenigstens, was vorgefallen ist." Sie hob kurz den Kopf und starrte mich aus komplett roten, verweinten Augen an. "Was vorgefallen ist? Ich habe versagt, das ist vorgefallen! Die haben mich einfach... mich einfach rausgeschmissen! Und sich dann noch lustig über mich gemacht! Wie soll ich jetznurweiterleben..." Erneut versagte ihre Stimme, aber dieses Mal fing sie sich schneller. "Ich hätte nie gedacht, daß dieser Arado Flash so ein... so ein Arschloch ist!", stieß sie hervor, mit einer Heftigkeit, die ich nie zuvor an ihr erlebt hatte, und auch die Wortwahl war mir, was Ponys anbetraf, neu. Scheinbar spürte sie mein Erschrecken, obwohl ich kein Wort sagte. "Ja, da staunst du, was? Ich sags auch gerne nochmal: Arschloch! Riesenarschloch, verdammtes Arschloch, alles das und noch viel mehr! Und so was ist Captain der Wonderbooohoooohoollts..." Erneut wurde sie von heftigem Schluchzen unterbrochen. "Ging schon so mies los, das Ganze", fuhr sie nach einer Weile fort. "Ich war rechtzeitig da, sogar 'ne Viertelstunde eher, genau wie noch einige andere Pegasi. Alles Spitzenflieger, alles Wonderbolt-Material, wie die das immer so nennen... und da war er, dieser... Arado. Ich bin also hin zu ihm und hab mich vorgestellt... hat nicht mal gegrüßt oder sich vorgestellt, na gut, wir wußten ja sowieso alle, wer er ist, aber nicht mal gegrüßt, nur rumgeblafft: 'Rainbow Dash, was? Selbsternannte beste Pilotin von Equestria, hä? Hinten anstellen!' So was Unfreundliches... ich hab dem doch nichts getan! Aber gut, ich hab mich hinten angestellt, wie er gesagt hat. Dann kamen zuerst mal die Flugübungen... die anderen waren wirklich gut, muß ich ja sagen, aber ich war auf keinen Fall schlechter, das weiß ich einfach! Trotzdem hat der mich am schlechtesten bewertet! Dann ein paar Teamflugübungen, ich hatte eine Partnerin, die war nicht ganz so gut wie ich, da mußte ich einige Elemente umstellen, sonst wären wir entweder in der Luft zusammengekracht, oder sie wär einfach abgestürzt! Und daraufhin, als diese Übungen vorbei waren, läßt der mich vortreten und schnauzt mich vor allen anderen zusammen, daß ich nicht teamfähig wäre, ich hätte keine Ahnung, was es heißt, ein Wonderbolt zu sein, eine eigene Vorstellung abliefern ist da nicht drin, kurz: ich wäre völlig ungeeignet - ich wär raus, der Tag wär für mich gelaufen, ich solle zusehen, daß ich vom Wonderbolts-Gelände fort käme! Ich wollte mich natürlich verteidigen, denn ich weiß, daß Fluttering Dust, so hieß meine Partnerin für die Übung, übel zu Schaden gekommen wäre, wenn ich alles nur stur nach seiner Vorschrift gemacht hätte! Ich weiß es, weil ich lange genug fliege! Hab ich ihm auch gesagt - der Typ hat mich nicht mal einer Antwort für würdig befunden, hat sich nur rumgedreht, die anderen Bewerber weggescheucht, als wenn sie lästige Insekten wären, und einfach angefangen, über belangloses Zeug mit den Ausbildern zu quatschen, so, als wäre ich gar nicht da! Ich hab versucht, ihn anzusprechen, auch mit Respekt, immerhin ist er ja Captain der Wonderbolts - da dreht der sich rum und brüllt mich an, wieso ich immer noch da wäre und ob er mich erst mit Gewalt vom Fluggelände entfernen lassen muß! Ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte... der dreht sich wieder rum und labert weiter mit den anderen tollen Wonderbolts und Ausbildern", die letzten Worte spie sie regelrecht aus, "über völligen Mist, etwa wie der Kuchen zur letzten Grand Gallopping Gala war und ob die Kleider der Prinzessinnen nun modisch der letzte Schrei wären oder nicht... der und die anderen, die dort waren, sind doch absolute Luschen!" Wütend schlug sie mit den Hufen aus, zum Glück, ohne mich zu treffen. "Und so was sollen Idole sein, Spitzenflieger, eben Wonderbolts... waaahahahahaaaaa...!" Nachdem sie sich vom nächsten Weinkrampf einigermaßen erholt hatte, fuhr sie fort. "Aber weißt du, was die Spitze vom Ganzen war?! Ich hab mich also rumgedreht und wollte gehen, was hätte ich dort noch gesollt - der Typ war ja mehr als deutlich. Aber dieser Arsch hat mich beobachtet und ruft mich zurück - und sagt, er will ja nicht so sein und mir was anbieten. Ich hatte schon wieder etwas Hoffnung, vielleicht war seine gemeine Art ja ein Psycho-Test... da grinst der mich eiskalt an und sagt, ich könnte ins Showprogramm der Wonderbolts. Sogar mit eigener Nummer! Ist das nichts? Klar hab ich mich erstmal gefreut - bis er weitergeredet hat: als Sidekick! Ich soll in den Pausen der Truppe zur Belustigung der Meute auftreten - als Rainbow Crash! Dafür und für nichts anderes wär ich gut! Natürlich nichts mit Kunstflug, nichts von wegen etwa gar Sonic Rainboom - einfach nur durch die Luft taumeln, doof sein und die Leute dazu bringen, mich auszulachen! Das hat der in vollem Ernst, aber eiskalt gesagt - und dann noch gesagt, entweder ich bin dabei, oder ich soll ihm endgültig aus der Sonne gehen, ich wäre es nicht wert, überhaupt zu fliegen, so mit meiner Art! Wuaaaahhh..." Langsam verstand ich alles... dieses Pony war auf gefühlsmäßiger ebenso wie auf fachlicher Ebene aufs Übelste verletzt worden vom Anführer ihrer größten Idole. Kein Wunder, daß sie am Boden zerstört war... Zeit für mich, zumindest einen Aufbauversuch zu starten. "Du kannst doch nicht wirklich von Cloudsdale bis hierher gelaufen sein? Ich denke, dazu braucht schon ein schnelles Erdpony drei Tage?!" "Natürlich nicht!", schluchzte sie hervor. "Von Cloudsdale aus muß man ja erstmal fliegen, liegt ja in den Wolken! Ich bin hierher geflogen, um Ponyville rundrum, die sollten mich bloß nicht sehen... und dann auf halbem Weg zwischen der Stadt und hier draußen gelandet, ich hatte einfach keine Lust mehr zum Fliegen, ich wollte nicht mehr in der Luft sein! Kannst du dir vorstellen, was das für einen Pegasus heißt? Ich... ich will nicht mehr leben... nicht nach dieser... Demütigung! Oder wenn ich schon weiterleben muß... dann... du hast Hände... dann nimm ein Messer und schneid meine Flügel ab! Lieber will ich ein Erdpony sein als ein Pegasus, der als völlig wertlos abgestempelt ist!" Entsetzt drückte ich sie an mich. "Das hast du gerade nicht wirklich gesagt..." Ein ziel- und hilfloser Flügelschlag war die Antwort. "Aber was soll ich noch damit? Mein Leben hat keinen Sinn mehr, ich habe nichts mehr, wofür es sich als Pegasus zu leben lohnt!" Zeit zum Einschreiten, dachte ich. "Das ist so nicht richtig. Du mußt auch nicht auf mich hören, ich weiß, ich bin nur ein Mensch und letzten Endes immer noch einigermaßen fremd in Equestria. Aber ich kenne nicht nur dich, ich kenne auch Applejack... sie wird es dir nie, nie, nie sagen, aber ich möchte wetten, sie ist froh, daß es so gekommen ist. Weißt du, warum? Nein, bitte laß mich ausreden, ich weiß, daß du das nicht verstehst - noch nicht. Ich habe gestern mit ihr gesprochen, sie hat ausdrücklich gesagt, daß ich es dir nicht weitererzählen soll - wahrscheinlich schießt sie mich mit einem Huftritt bis zum Mond, wenn sie erfährt, daß ich es doch getan habe, aber das ist im Moment auch schon egal. Sie war gestern den ganzen Tag sehr bedrückt, nachdem die Einladung gekommen ist - weißt du auch, warum? Sie hat Angst, verdammte Angst, dich zu verlieren! Sie liebt dich, Rainbow, so sehr, daß sie nichts gesagt hat, weil sie dir deinen Traum nicht zerstören wollte - 'Was man liebt, muß man loslassen können', das waren ihre Worte. Wonderbolt sein hätte bedeutet, daß du hier ausgezogen wärst, nur noch am Wochenende zu ihr hättest kommen können, wenn überhaupt, vielleicht hättest du bei den Wonderbolts auch andere Pegasi kennengelernt, mit denen du einfach auch lieber deine Freizeit verbracht hättest, weil sie eben Pegasi sind und du mit ihnen fliegen kannst - vor alledem hat sie sich gefürchtet, aber sie hat dir deinen Traum gegönnt. Sie liebt dich wirklich von Herzen, größere Opfer kann ein Mensch oder auch ein Pony kaum bringen... also tu bitte, bitte nichts, womit du sie auch noch unglücklich machen würdest. Nein, ich werde deine Flügel nicht abschneiden, die sind ein Teil von dir, und du brauchst sie für deine Arbeit, deine Arbeit ist nämlich wichtig - du bist Leiterin der Wetterkontrolle Abteilung Ponyville und Umgebung. Weißt du, wieviele Ponys sich freuen, so ein kompetentes Wetterpony zu haben? Und das Wetter betrifft jedes Pony, und das jeden Tag - eine Flugshow sehen viele vielleicht einmal im Jahr oder noch seltener. Alleine dafür bitte ich dich, tue nichts Unüberlegtes... so sehr dir diese Wonderbolts auch wehgetan haben mögen. Und so, wie ich dich jetzt verstanden habe, waren es auch nicht 'die Wonderbolts', sondern nur der eine, nämlich Arado Flash... es war eben einfach Pech, daß du zur falschen Zeit an den geraten bist." Sie blickte auf und sah mich an. "Hat Applejack das alles wirklich gesagt?" "Allerdings." Ihr Kopf sank wieder nach unten. "Und ich habe es nicht bemerkt... eine schöne Freundin bin ich, eine tolle Liebhaberin... für meine eigenen egoistischen Ziele tue ich meiner besten Freundin, ja, meiner Geliebten, weh... ich wußte nicht, daß ich wirklich so schlecht bin..." Erneut versagte ihre Stimme, und ihr Körper wurde von weiteren harten Schluchzern geschüttelt. Ich streichelte weiter über ihr Gesicht und ihr Fell. "Aber, aber... sie hätte es dir gegönnt. Es war ja auch dein Lebenstraum, also etwas, was dir wirklich wichtig war... sie hätte es verstanden. Und ich glaube auch nicht, daß sie sich wirklich darüber freuen kann, wie Arado dich behandelt hat, aber du tust ihr auch keinen Gefallen, wenn du dir selber etwas antust - oder dir antun läßt." Ich bekam keine Antwort mehr darauf. Hilflos saß ich da, den Kopf des am Boden zerstörten Pegasusponys auf meinem Schoß... was sollte ich nur tun, um sie zu beruhigen? Noch immer war ihr Herzschlag, den ich durch das Pulsieren des Ponyfells deutlich spürte, hart und unregelmäßig, und ich war mir sicher, daß das nicht eben gesundheitsfördernd war. Schließlich kam mir eine Idee... zwar vielleicht reichlich komisch, aber einen Versuch war es wert. Ich hatte so etwas seit ewigen Jahren nicht mehr getan, aber alles war besser, als nur dazusitzen. Ich begann zu singen. "Pony, liebes Pony, was raschelt im Stroh... es sind die anderen Ponys, ich weiß nicht, wieso... sie sehen dich weinen und schau'n sich stumm an: gibt es nichts, was'n Pony tun kann? Pony, mein Pony, was raschelt im Stroh.... Pony, mein Pony, schlaf ein... find Schlaf, finde Ruhe, wir brauchen dich so... es geht nicht mehr ohne, ja, ohne Rainbow... Pony, mein Pony, schlafe fest ein..." Während ich mehr oder weniger sinnlose Instant-Reime zusammendichtete und die Melodien gleich mehrerer Schlaflieder vermischte, weil ich nicht ein einziges mehr auswendig konnte, wiegte ich mich sanft vor und zurück, und strich weiter mit meinen Händen über Rainbows Gesicht und Hals. Immerhin schien diese Methode zu helfen: ihr Puls wurde ruhiger und gleichmäßig, ab und zu drang noch ein Schluchzen über ihre Lippen, aber nach einigen Minuten war das Wunder geschehen: Rainbow war eingeschlafen. Vorsichtig nahm ich den Flügel, an den ich herankam, und faltete ihn in seine Ruheposition - er legte sich fast von selbst zusammen, ähnlich wie eine oft benutzte Landkarte. Sanft strich ich über ihr Gesicht, welches nun nur noch ab und zu um Schlaf zuckte, genau wie ihre Beine, und überlegte, wie ich sie, möglichst ohne sie zu wecken, in ihr Bett legen sollte, als ich plötzlich spürte, daß wir nicht länger allein waren. Ich sah auf - und blickte in ein Paar großer, emeraldgrüner, trauriger Augen. Applejack stand vor uns. "Seit wann bist du hier?", flüsterte ich leise, um Rainbow nicht aufzuwecken. Applejack antwortete mir auf dieselbe Weise. "Lange genug, Sugarcube. Ich hab mich gewundert, wo du gebliebn warst, un' bin hergekomm', un' da hab ich euch gehört... genauer gesagt, ich hab Rainbow kurz was schrei'n gehört, also bin ich hoch. Von da an hab ich alles mit angehört... also praktisch die gesamte Geschichte. War gut, daß du ihr gesagt hast, was ich denke... so hat'se nich' den Eindruck, daß ich klammer oder ihr was ausredn will. Armes Filly... das muß unvorstellbar hart un' grausam gewesn sein für dich", wisperte sie, während sie zärtlich auf ihre schlafende Freundin sah. "Gut, daß'se schläft... un' danke, daß du gleich hoch bist un' nach ihr geguckt hast, das hat'se gebraucht. Jetzt würd ich gerne übernehm' hier... du hast schon genug für uns gemacht. Wenns dir nichts ausmacht, heißt das." "Ich will sie bloß nicht unnötig wecken, wenn ich aufstehe." "Keine Angst... schieb die eine Hand hier unter ihr'n Kopf... die andere untern Hals, genau so... jetzt kannste'se vorsichtig ablegen... so, und jetzt aufstehn." "Willst du, daß ich euch beide alleine lasse? Ich will mich nicht einfach davonstehlen... aber stimmt wohl, ist wahrscheinlich besser, wenn sie dich beim Aufwachen als erstes sieht." "Genau so seh ich das auch...ich schick dich natürlich nich' weg, aber ich würd wie gesagt übernehm'. Wenns was neues gibt oder du gebraucht wirst, hol ich dich natürlich sofort." "Gut... ich bin drüben in meinem Haus. Ich glaube, die ganze Geschichte muß ich erst einmal verdauen." "Is' klar... bis dann." Damit war ich offensichtlich entlassen, falls man es so nennen konnte. Ich konnte es Applejack indessen nicht verdenken, daß sie einige Zeit mit ihrer Freundin allein verbringen wollte - und wahrscheinlich war Rainbow damit auch mehr geholfen, als ich es gekonnt hätte. In meinem Wohnzimmer nahm ich mir das Buch, an dem ich seit Tagen saß, und setzte mich aufs Sofa. Allerdings legte ich den Folianten wieder beiseite, nachdem ich merkte, daß ich seit mindestens zehn Minuten dieselbe Seite anstarrte, ohne auch nur im Entferntesten zu wissen, was darauf stand. Stattdessen stand ich auf, nahm mir ein Glas Tee (meine Getränke aus der Menschenwelt waren längst aufgebraucht, und so etwas fand sich sonderbarerweise nie im Raum der Artefakte) und trat ans Fenster, um mit einem Blick in die Ferne meinen Gedanken nachzuhängen. Etwas mußte geschehen. Nur zu gerne hätte ich Arado Flash persönlich zur Rechenschaft gezogen, aber der saß unerreichbar für mich irgendwo in Cloudsdale. Auch den Gedanken, mich an die Prinzessinnen zu wenden, verwarf ich fast sofort wieder - dies war eine persönliche Angelegenheit, nichts, was die Regierung betraf. Vielleicht war es an der Zeit, daß Ponyville seiner Wetterleiterin einmal seine Wertschätzung deutlich zeigte. Wie lange war es her gewesen, daß irgendein Pony Rainbow gesagt hatte, daß sie gute Arbeit mit der Wetterkontrolle leistete, daß deswegen seine Ernte oder seine Blumen besonders gut gerieten? Oder wann hatte das letzte Mal jemand Rainbows tatsächlich einmalige Flugkünste ehrlich bewundert? Immerhin zog sie bei hohen Geschwindigkeiten einen regenbogenfarbigen Streifen hinter sich her, was mir schon immer besser gefallen hatte als die rauchwolkenähnlichen Gewitterspuren der Wonderbolts - noch ein Grund, weswegen sie außerhalb dieser Truppe wohl besser aufgehoben war. In meinem Kopf formte sich ein Plan. Zunächst würde ich abwarten müssen, wie sich ihr emotionaler Zustand in den nächsten zwei, drei Tagen entwickeln würde, aber es war sicherlich kein Fehler, einige Ideen in der Hinterhand zu haben. Mit den versteckten Vorbereitungen fing ich am besten sofort an.