Kapitel 17: Verlagerungen Langsam wurde der Himmel heller - wenigstens in Form eines Streifens oder besser Tunnels durch die Wolkendecke. Ich befand mich mit Applejack und Soarin' auf einer Wiese auf einem aufgegebenen Teil von Sweet Apple Acres, einige wenige Kilometer von Ponyville entfernt. Unsere nächste Aufgabe war es, das Tor in die Welt der Menschen von seiner momentanen Position hoch oben am Himmel auf den Boden zu verlagern. Rainbow war unterwegs, um die Palastwachen, die das Tor am Himmel derzeit bewachten, entsprechend zu informieren, und hatte von mir den Auftrag bekommen, die vor den neugierigen Kameraaugen irgendwelcher menschlicher Spähdrohnen schützende Wolkenschicht so weit zu öffnen, daß ich sehen konnte, was mit der Anomalie über Ponyville geschah. Offenbar waren die Pegasi bereits eifrig dabei - und es dauerte nicht lange, bis die Sichtverbindung hergestellt war. Soarin', der die Erscheinung bisher nur aus Rainbows Bericht kannte, aber noch nicht persönlich gesehen hatte, bekam große Augen, als er die Sphäre, die von zischelnden kleinen Blitzen begrenzt war, sah. "Das also ist das Ding, was ihr hier gestern abend erschaffen habt?" "Erschaffen ist vielleicht nicht das richtige Wort... aber ja, das ist es. Etwa an der Stelle haben offenbar sowohl Rainbow als auch Captain Flash die Schallmauer durchbrochen, und das ist das Ergebnis - ein Tor in eine andere Welt." Daß die Erscheinung ursprünglich nur den halben Durchmesser hatte und dieser sich durch einen mißglückten Versuch, das Tor mit vermutlich recht finsterer Magie zu verschließen, sich glatt verdoppelt hatte, verschwieg ich - ich war mir sehr sicher, daß die Prinzessinnen nicht wünschten, daß jedes Pony davon erfuhr, nicht nur, weil ihr kleiner Kunstgriff nicht wie beabsichtigt funktioniert hatte, sondern auch, weil die verwendete Magieform allem Anschein nach geheim und nur den allerwenigsten Ponys zugänglich war. "Und das sollen wir verlagern... naja, an mir solls nicht liegen. Celestia sagte, daß Shining Armor, den sie als obersten Sicherheitschef eingesetzt hat, anschließend einen Schutzschild darüber legen will? Wo ist er eigentlich?" "Sollte jeden Moment hier sein, Twilight will ihn vom Bahnhof aus direkt hierherteleportieren." Tatsächlich vergingen nur wenige Minuten, bis ein violetter Lichtblitz neben uns die Ankunft des Prinzgemahls des Crystal Empires ankündigte, und richtig erschien er neben uns auf der Wiese. "Botschafter - erfreut, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen", begrüßte er mich knapp. "Wo ist Rainbow? Je schneller wir diese Verlagerung erledigen, desto besser für unser aller Sicherheit, und wir haben immerhin bereits Nachmittag." "Wo wir grad bei Sicherheit sin'... ich will mich ja nich' einmisch, aber warum habt ihr vor, das Dings ausgerechnet hierher zu bringn? Ich mein', natürlich steht euch die Wiese hier zur Verfügung, aber wärs nich' sinnvoller, das Tor irgendwo weit weg zu schaffn? Zum Nordpol oder so?" "Den Einwand brachte Celestia ebenfalls, aber hier muß ich widersprechen, Applejack. Solange wir das Tor hier haben, können wir es ohne Probleme überwachen, wir sehen, ob und was hindurch kommt, und können reagieren. In unbesiedelten und unwirtlichen Gebieten wäre das ungleich schwieriger. Celestia ist durchaus bewußt, daß so eine Verbindung zwischen den Welten hier ein Risiko darstellt, und sie setzt euch dem nur sehr ungern aus, sie hat aber eingesehen, daß ständige Bewachung nötig ist und das in schwierigem Klima auch entsprechend schwer zu realisieren wäre - außerdem wissen wir nicht, was dann in der Menschenwelt an der entsprechenden Stelle wäre, und wir wollen auch nicht riskieren, daß Menschen zufällig dort diese Erscheinung entdecken, daher lieber hier das kontrollierte Risiko." "Dann sollten wir wohl anfangen!" Rainbow war, von uns unbemerkt, wieder zu uns gekommen und schwebte über unserer kleinen Gruppe. "Am besten sucht ihr euch alle eine stabile Deckung - die Druckwelle beim Sonic Rainboom ist nicht zu unterschätzen." Sie sah bei ihren letzten Worten besonders in meine Richtung, verzichtete aber immerhin darauf, die körperliche Unterlegenheit meiner Art mit Worten weiter zu betonen. "Der Effekt sieht zwar sehr schön aus, erzeugt aber eben auch eine mächtige Druckwelle - ich habe ihn einmal bisher in Bodennähe eingesetzt, mit dem Ergebnis, daß es Applejacks alte Scheune glatt zerlegt hat." Sie grinste. "Naja, sollte ja sowieso abgerissen werden. Nur damit alle hier wissen, was auf sie zukommt." Shining Armor nickte. " Wir haben wohl genug geredet, laßt uns beginnen." Rainbow Dash stieg in die Höhe, während wir anderen, Soarin' eingeschlossen, uns hinter Bäumen aufstellten. "Warum steigst du nicht gleich mit auf?", wollte Shining Armor von Soarin' wissen. Dieselbe Frage hatte ich mir auch bereits gestellt. "Ich... würde das Ereignis gerne aus derselben Perspektive sehen, wie es Captain Flash gestern abend getan hat, wenn ich darf. Es interessiert mich einfach aus fachlicher Sicht." "Verständlich. Nun gut, wieso auch nicht - auf die paar Minuten dürfte es nicht ankommen, und so, wie ich Twily verstanden habe, sollen die Faktoren, die zur Entstehung dieses Überganges führten, möglichst exakt nachgebildet werden - ist also wohl kein Fehler, wenn zwischen den beiden Schallmauerdurchbrüchen einige Minuten dazwischen liegen." Rainbow war derweilen am höchsten Punkt ihrer Flugbahn angekommen und vom Boden aus nur noch als Punkt am Himmel zu sehen. Dann startete sie ihren Sturzflug: nach einigen Sekunden begann sich ein regenbogenfarbiger Streifen hinter ihr zu bilden, erst schwach, dann immer stärker, und schließlich war es soweit: in nur wenigen Metern über dem Grund erreichte sie, inzwischen durch die hohe Geschwindigkeit nur noch als verwischte Erscheinung inmitten eines bunten Farbstrudels zu erkennen, die Schallgeschwindigkeit, und genau wie am Abend vorher breitete sich ein in allen Farben des Regenbogen schillernder, aus einer Art kalter lodernder Flammen (wenigstens sah es so aus) bestehender Ring um den Punkt herum aus, an dem sie die Schallgeschwindigkeit überschritten hatte. Fast ohne Verzögerung, da wir uns nicht weiter als zweihundert Meter vom Ort des Geschehens entfernt befanden, erreichte uns der Knall - in weiser Voraussicht hatte ich mir die Ohren zugehalten und den Mund geöffnet, und ich war mir sicher, daß die Ponys ähnliche, ihrer Anatomie entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen hatten. Ein Schauer aus abgerissenen Blättern und kleinen Zweigen ging auf mich nieder, als die vielfarbige Druckwelle über uns und den Baum, hinter dem ich stand, hinwegfegte. Rainbow änderte auf eine Art, die wohl nur Pegasi beherrschen mochten und die kein mir bekanntes menschliches Fluggerät nachvollziehen konnte, bei gleichbleibender Geschwindigkeit schlagartig ihren Kurs und fegte, eine regenbogenfarbene leuchtende Spur in der Luft zurücklassend, über die Wiese und wieder ein gutes Stück in die Höhe, bevor sie langsamer wurde und, nun wieder normal mit den Flügeln flatternd, in einer Geschwindigkeit, die jedes Pegasuspony erreichen konnte, zu uns kam. Ich hatte dieser Demonstration ihrer Fähigkeiten nur staunend zugesehen und konnte nicht anders, als Beifall zu klatschen - es war eine Sache, einen Sonic Rainboom, der hoch oben in der Luft ausgeführt wurde, vom Boden aus zu sehen, aber eine ganz andere, ihn aus nächste Nähe mitzuerleben. Rainbow landete zwischen den Bäumen und deutete eine spöttische Verbeugung in meine Richtung an. "Danke, danke, danke. Ich sehe, diese kleine Übung hat dir gefallen? Kannst deinen Mund übrigens wieder zumachen, wenn du gerade keine Fliegen fangen wolltest - ich dachte nur, ich sags mal", feixte sie. Ich ging zu ihr hinüber und kniete mich vor sie, so daß unsere Gesichter etwa auf gleicher Höhe waren. "Ich bin... begeistert, einfach nur begeistert, daß ich so etwas Schönes einmal aus der Nähe erleben und mit eigenen Augen sehen durfte. Ich weiß ja nicht, ob solche Vorstellungen für Ponys langweiliger Alltag sind, soweit ich weiß, sind sie das nicht - aber ich weiß, daß ich so etwas noch nie selbst und direkt gesehen habe, immer nur hoch oben am Himmel. Und das, ohne daß du anschließend in den Boden gerammt wärst - solche Winkel sind für uns Menschen auch mit unseren Fluggeräten bei solchen Geschwindigkeiten nicht schaffbar, das könnt wohl wirklich nur ihr Ponys. Danke dafür, daß ich die Gelegenheit hatte, dabei zu sein." "Nu lob'se mal nich' gar so in'n Himmel", kommentierte Applejack, die ebenfalls herangekommen war. "Nich' daß'se am Ende gar nich' wieder runterkommt zu uns, wenn'de verstehst, was ich mein'. Aber er hat natürlich recht - wirklich hübsch, Sugarcube, wirklich hübsch. Ich schätze, ich kann stolz sein, mit so 'nem Spitzenfliegerpony zusamm' sein zu dürfn." "In der Tat, Rainbow, in der Tat... direkt aus nächster Nähe miterlebt habe ich deine Rainbooms ja auch noch nicht, das war wirklich beeindruckend. Ehrlich gesagt, wundert es mich nicht, daß Captain Flash dagegen nicht angekommen ist, das ist wohl nicht mehr zu übertreffen." "Ja, der Effekt ist beachtlich", meldete sich Shining Armor zu Wort. "Ich habe damals, vor Jahren, den ersten Rainboom natürlich auch gesehen, wie wohl viele Ponys in Equestria - ich weiß noch, daß ich die Tagesschicht in der Palastgarde hatte und versucht habe, möglichst oft an der Magieschule der Prinzessin vorbeizukommen, wollte ich doch erfahren, wie die Prüfung meiner Schwester ausgegangen ist. Den Rainboom habe ich von der äußeren Palastbalustrade aus gesehen... und die Effekte, die er bei Twily verursacht hat, ebenfalls." Er lächelte, als er offenbar in seiner Erinnerung die Szenen von damals noch einmal erlebte, schüttelte die Bilder der Vergangenheit dann aber mit einer sichtlichen Anstrengung ab. "Alles schön und gut, aber wir sollten weitermachen, denke ich, Celestia hat mich mit der Sicherheit hier beauftragt, nicht mit dem Schwelgen in der Vergangenheit. Soarin'? Bist du soweit?" Der hellaquamarinfarbene Pegasushengst nickte, während Rainbow, die mit halb ausgebreiteten Flügeln und geschlossenen Augen auf der Wiese stand und sichtlich die Bewunderung und Anerkennung genoß, die wir ihr zuteil werden ließen, ihre Flügel schloß und - wenn auch ungern, wie mir das Zittern ihrer Flügelspitzen verriet - in die Realität zurückfand. "Am besten gehen alle wieder in Deckung. Ich kann zwar nicht mit so einem Farbenspektakel aufwarten, aber die Druckwelle selber ist bei mir nicht schwächer." Damit hob er vom Boden ab und stieg in den Himmel auf, während wir uns wieder hinter den mächtigen Stämmen der uralten Apfelbäume in Sicherheit brachten. Applejack und Rainbow hatten sich zu mir gesellt. Das himmelblaue Pegasuspony sah mich aus strahlenden roséfarbenen Augen an. "Hat dir mein Rainboom wirklich so gefallen?" Applejack verdrehte übertrieben gespielt ihre emeraldgrünen Augen. "Wird doch wohl so sein, so hätt' er's nich' so gesagt. Un' ja, war zwar schön, aber könnteste bitte wieder runterkommn, wenigstens so langsam mal? Wenigstens, bis das alles hier vorbei is'." Rainbow grummelte etwas Unverständliches. Ich strich beiden Ponys noch einmal durch die Mähne, dann sahen wir nach oben. Genau wie Rainbow vor ihm, war Soarin' nur noch als Punkt am Himmel auszumachen und setzte zu seinem eigenen Sturzflug, ohne den er die nötige Geschwindigkeit sicher nicht würde erreichen können, an. Ich sah zum Tor über Ponyville - und erstarrte. "Nein", krächzte ich fassungslos. "Bitte, bitte nicht... nicht ausgerechnet jetzt!" Ich brauchte die verwunderte Blicke der Ponys nicht einmal zu sehen - ich spürte, wie sie mich anstarrten und sich wohl fragten, was mich so dermaßen entsetzen mochte. Ich deutete auf das bisherige Tor. Genau wie beim ersten Mal, als die erste Drohne hindurchgekommen war, war es nicht mehr leer. In der trübgrauen Helligkeit, die die aktuellen Wetterverhältnisse in der Menschenwelt widerspiegelte, erschien etwas, gewann an Form und Substanz und passierte die energiegeladene Barriere: die Menschen hatten eine weitere Drohne geschickt. Äußerlich unterschied sie sich nicht einmal von der ersten: sie erinnerte an ein zu klein geratenes, fensterloses Propellerflugzeug, das mit Kameras bestückt war. Zwar konnte ich die Kameras auf die Entfernung nicht erkennen, aber ich war mir sicher, daß welche vorhanden waren. Dieses Mal behielt die Drohne ihre Höhe bei, ohne nach dem Übertritt nach Equestria abzusacken, und flog geradeaus weiter. Ich sah zu Soarin'. Der hatte inzwischen seinen Sturzflug begonnen - es war zu spät, unsere aktuelle Mission abzubrechen und abzuwarten, bis die Drohne in die Menschenwelt zurückgekehrt war. Wie schon Rainbow zuvor, legte er immer mehr an Geschwindigkeit zu, nur blieben bei ihm natürlich die bunten Farbeffekte aus. Wieder hielt ich mir die Ohren zu und öffnete den Mund, und am Rande meiner Wahrnehmung bemerkte ich sogar, wie sich die Ponys schützten: sie klappten ihre Ohren zu, im wahrsten Sinne des Wortes, und öffneten ebenfalls den Mund. Nur wenige Meter über dem Boden war es soweit: Soarin' durchbrach die Schallmauer. Während zum zweiten Mal an diesem Tage der Überschallknall und die Druckwelle über uns und vor allem die Bäume hinweg fegten und ein neuerlicher Schauer aus Blättern und abgerissenen Zweigen und Ästen niederging, änderte er genauso abrupt wie Rainbow vor ihm die Flugrichtung, raste mit immer noch annähernder Schallgeschwindigkeit über die Wiese, stieg zum Bremsen wieder ein Stück in die Höhe und kam dann in normaler Geschwindigkeit herangeflogen. "Hatten wir... Erfolg?" Wir alle blickten auf das Zentrum der Wiese. Diese war nicht mehr leer: wie ein bizarres Zelt war das Tor dort erschienen, genau, wie Twilight es berechnet hatte. Und sogar seine Größe hatte sich verändert: die Anomalie war sichtlich kleiner geworden. Zwar mochte sie immer noch einen Durchmesser von etwa einhundert Metern haben (was immerhin nur noch die Hälfte dessen war, was sie am Himmel gehabt hatte), aber sie war nicht mehr länger kugelförmig, sondern spannte sich wie eine Halbkugel in zeltähnlicher Form über der Wiese auf. Oder besser: wie ein halbierter Ellipsoid. Der Bereich, in dem ein Mensch aufrecht hindurch gehen konnte, war keine achtzig Meter mehr breit, und an der höchsten Stelle betrug die Höhe nur noch etwa zwanzig Meter. Ich drehte den Kopf und sah nach oben: tatsächlich war das Tor am Himmel verschwunden. Eine Tatsache, die für die Spähdrohne leider nicht zutraf. Das unbemannte Spionageflugzeug flog unbeirrt weiter über den Himmel Equestrias. Die Pegasi der Palastwache, die das bisherige Tor bewacht hatten, hatten ihre Anweisungen verstanden: sie flogen so, daß sie dem Flugobjekt unmöglich in die Quere kommen konnten, und ich hoffte inständig, daß die Drohne keine nach hinten gerichteten Kameras mitführen mochte. Aber selbst wenn, wäre das vermutlich kein Problem mehr gewesen. Ähnlich wie das erste Beobachtungsflugzeug drehte dieses hier eine Schleife, die nun schon etwas weiter gefaßt war als beim ersten Mal, und nahm wieder Kurs auf das Tor - oder besser dahin, wo dieses gewesen war. Die Drohne erreichte den Raum, in dem sich das Tor befunden hatte - und flog einfach weiter. Es geschah nicht einmal etwas Spektakuläres: das kleine automatische Flugzeug hielt einfach stur und unbeirrt Kurs und Geschwindigkeit. Ich drehte mein Gesicht zu den Ponys und erhaschte dabei den Blick von Shining Armor, der offenbar dieselben Gedanken hatte wie ich. "Rainbow -", begann ich, wurde aber sofort von ihm unterbrochen. "Nein - Rainbow bleibt hier. Twily hat mir erzählt, daß Fluttershy allen Ernstes versuchen soll, Discord zu finden, und wenn ihr das gelingt, sollten von den Elemente der Harmonie lieber möglichst viele zur Stelle sein, nur für alle Fälle. Soarin' - informiere die Wachen da oben und bleibe bei ihnen. Verfolgt das Flugdings der Menschen, aber in sicherer Entfernung, und beobachtet, was passiert. Sobald es etwas Interessantes gibt, kommst du direkt zu uns zurück und berichtest uns - dafür brauchen wir ein schnell fliegendes Pony, die Garden sind womöglich zu langsam." Der Angesprochene nickte, hob ab und flog in Richtung Ponyvilles Himmel, um seinen Auftrag auszuführen. Kaum war er verschwunden, erschien ein Lichtblitz zwischen uns - und wir fanden uns in Gesellschaft Fluttershys und einer Kreatur, die aussah, als hätte sie ein Zufallsgenerator erschaffen: sie mochte an die drei Meter hoch sein und bestand aus Einzelteilen der verschiedensten Tierarten. Obwohl ich dieses Wesen bisher noch nie selbst zu Gesicht bekommen hatte, wußte ich, wem ich mich gegenübersah, noch bevor es die anderen Ponys aussprachen: "Discord." Das Wesen deutete eine spöttische Verbeugung zu jedem einzelnen Pony an. "Ein und derselbige, alleinige. Ooooch, meine süßen Knuddelponys, was bedrückt euch, was steht zu Diensten? - Augenblick - du bist kein Pony, wenn mich meine müden Augen nicht täuschen?" Zwei gelbe Augäpfel mit roten Pupillen und halbgeschlossenen Lidern schwebten vor einen Moment ohne den dazugehörigen Körper vor mir und schienen mich tatsächlich mit schlaftrunkenem Blick zu mustern, bevor sie verschwanden und an ihrer angestammten Stelle, nämlich in Discords Kopf, wieder auftauchten. "Korrekt. Ich bin ein Mensch, und ich komme direkt zur Sache: wir haben ein Problem. Wir -" Weiter kam ich nicht. "Oooohohoho, zu drollig! Houston, wir haben ein Problem! Aber wieso laßt ihr dann die putzige kleine Fluttershy hier den alten Onkel Discord rufen?" "Wir wollten fragen, ob du uns helfen kannst." Das Mischwesen vor mir schien einen Moment zu überlegen. "Hm - na gut. Hab sowieso nichts Besseres zu tun, warum also nicht. Aber was springt für mich dabei raus? Eine schöne Portion -", sein Kopf schoß auf mich zu, und für einen Moment schien ich mich mit ihm inmitten einer Gewitterwolke zu befinden, "Chaos?" Ich schüttelte den Kopf - was ich bisher über Discord erfahren hatte, schien nicht übertrieben zu sein. "Wenn du damit Ponyville oder generell Equestria meinst: wohl eher nein. Das wäre ja nur der Tausch zwischen einem Übel und einem anderen, und ich weiß nicht, welches schlimmer ist." "Ooooch, zu schade! Aber ohne Chaos ist es mir zu langweilig - ich bin raus. Tschüüü-hüüüß!" "Discord!", ließ sich eine leise, aber doch sehr energische Stimme vernehmen - Fluttershy. "Mußt du immer nur an dich denken?! Vielleicht hörst du dem Botschafter erst einmal zu und versuchst wenigstens, einmal etwas Nützliches mit deinen Kräften anzustellen?!" Ich konnte hören, wie Shining Armor neben mir erschrocken die Luft einsog und sein Horn unwillkürlich zu glühen begann - offenbar hatte er nicht damit gerechnet, daß Fluttershy Discord derart bestimmt ansprach, und befürchtete irgendeine Racheaktion des Wesens. Discord machte sich nicht einmal die Mühe, Shining Armor anzusehen - er wedelte nur mit einer Hand (tatsächlich fiel mir jetzt auf, daß dieses Wesen Hände ähnlich denen der Drachen und Menschen besaß), und der große weiße Hengst hob vom Boden ab und schwebte rückwärts einige Dutzend Meter davon. "Nicht doch, mein Lieber", kommentierte Discord die Aktion, offenbar an den davonschwebenden Shining Armor gerichtet. "Siehst du nicht, daß du unsere traute Zweisamkeit störst? Ts-ts-ts - ich hätte einen Prinzgemahl für höflicher gehalten, als mich und mein liebes Knuddelpony zu stören. Und ich werde wohl der letzte sein, der ihr etwas antut - nicht meiner süßen Fluttershy." Mit einem Lichtblitz fand sich Fluttershy in Discords Händen wieder, und in einer tatsächlich echt aussehenden Geste schmiegte das Mischwesen sein Gesicht an das des hellgelben Pegasusponys, welches die Geste sogar, wenn auch nur schwach, erwiderte. "Also gut, ich bleibe - aber nur dir zuliebe, Flutty, das weißt du doch, oder? Also - was habt ihr für Kummer?" Die letzten Worte kamen im geleierten Tonfall demonstrativen Desinteresses. Shining Armor kam zurückgetrabt, hatte aber offenbar aus seinem kurzen unfreiwilligen Ausflug gelernt, daß man der Kreatur vor uns besser nicht mit gewöhnlicher Magie begegnete. "Vielleicht kann der Botschafter dieses Mal ausreden." "Ein Botschafter? Warum sagt mir das denn keiner? Ich komme hier so des Weges, wie ich in meinem langweiligen öden drögen Alltag bin - bei einem Botschafter muß ich mich doch wenigstens mit Stil kleiden!" Ein Lichtblitz hüllte das Wesen ein, und tatsächlich erschien er nun in einem Smoking, mit einem Monokel vor einem Auge und einem schwarzen Zylinder auf dem Kopf, während Fluttershy auf dem Boden sitzend wieder auftauchte. "Exzellenz, ich bin außerordentlich erfreut, Eure hochverehrte Bekanntschaft machen zu dürfen." Die Worte troffen vor Hohn und Spott, aber ich hielt es für geraten, darauf nicht weiter einzugehen. "Nun dann. Wie ich bereits sagte: es gibt ein Problem. Wir haben hier -" "- ein Tor, ich weiß." Discord gähnte demonstrativ und außerordentlich herzhaft. "Oh - Entschuldigung. Wollte doch gar nicht unhöflich sein. Aber solche Dinger sehe ich ständig, da ist doch nichts weiter dabei. Und ich sehe, es führt in die Welt der Menschen, auch uninteressant, war schon da... dort liegt Chaos in der Natur, da macht es keinen Spaß, es erst verbreiten zu wollen. Du bist der Botschafter der Menschen, ja, ich weiß, selbst ich lebe nicht hinter dem Mond - wenn auch von Zeit zu Zeit darauf." Für einen Moment erschien ein nachdenklicher Ausdruck auf seinem Gesicht, nur um sofort wieder zu verschwinden. "Also - ihr wollt dieses Dingsdabums gerne wieder verschlossen haben, richtig? - Wußte ich es doch, und weil ihr es alleine nicht könnt, ruft ihr den guten alten Onkel Discord herbei", redete er weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. "Sehr vernünftig. Wollen doch mal sehen." Mit einem erneuten Lichtblitz verschwand er, um in einer ganzen Serie von Blitzen rund um das Tor wieder zu erscheinen, ein paarmal schwebte er sogar darüber. Dann gesellte er sich wieder zu uns. "Tja, da habt ihr wirklich ein Problem. Dieses Dings ist schön stabil - langweilig stabil, darin herrscht kein Chaos. So ungern ich es zugebe - aber das war ganze Arbeit, was ihr geleistet habt, da kann ich leider nichts so einfach verschwinden lassen." "Also wirst du uns nicht helfen?", vergewisserte ich mich. "Au contraire, mon capitan! - Oh - hups, falscher Mensch in der falschen Zeit, zu dem ich das sage, aber bei meinen Streifzügen durch die Raumzeit bin ich immer wieder einem sehr interessanten Menschen begegnet, allerdings war der älter als du hier und hatte eine etwas andere... le frisur. Also, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, dieses Tor... ich würde euch gern helfen, glaubt mir. Aber auch uns - oder besser: mir, wir wollen doch die Ponys nicht verwirren und sie nicht etwa glauben machen, es gäbe noch mehr von meiner Art", in seinen Augen erschien während der letzten Worte ein gehässiges Funkeln, was aber ebensoschnell wieder verschwand, wie es gekommen war, "sind gewisse... Grenzen gesetzt, ja, das trifft es wohl am ehesten. Trotzdem, mon ambassadeur, will ich sehen, was ich tun kann... manchmal ist das naturgegebene Chaos in der Menschenwelt und besonders das, was ihr anrichtet, doch ganz unterhaltsam, und vielleicht lassen sich Spaß und ... wie langweilig... Nützlichkeit für die Ponys doch verbinden, qu'en pensez-vous?" "Ich komme nicht aus Frankreich", erwiderte ich trocken. "Aber diese Sprache! Och, kommen Sie, Botschafter, diese Sprache ist zu schön anzuhören... leider hat sich auch mein anderer Bekannter in der Menschenwelt immer geweigert, sie zu benutzen. Was habt ihr nur alle dagegen? Französisch ist fancy!" "Kann durchaus sein - hatte ich allerdings in der Schule nicht." Discord seufzte übertrieben theatralisch und setzte ein ebenso übertrieben bedrücktes Gesicht auf. "Daß nicht alle Menschen die Schönheit einer Sprache zu würdigen wissen - es betrübt mich zutiefst. Und daß niemand die Schönheit und Magie des Chaos zu schätzen weiß, betrübt mich noch mehr", in seinen Augen erschienen zu meiner Überraschung tatsächlich einige Tränen, "sonst wird man ja sofort in Stein verwandelt hierzulande,", ein Blick voll mit unbestimmter Trauer traf Rainbow, die sichtlich zusammenzuckte, "und als Statue hat man, im Sommer wie im Winter stets dem unbarmherzigen Wetter der Pegasi ausgesetzt und noch dazu ohne die Möglichkeit, wenigstens ein wenig Chaos zu verbreiten, erst recht keinen Spaß - obwohl ich zugeben muß, daß es schlechtere Standorte als Molestias - ääähm, ich meine natürlich, Prinzessin Celestias Garten gibt, man kann durchaus einige hübsche Ausblicke genießen." Die theatralischen Tränen in seinen Augen verschwanden und machten einem nun eindeutig schmutzigen Grinsen über sein gesamtes Gesicht Platz, wobei dieser Ausdruck zweifellos mir galt. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen - hatte er mich doch soeben an einige Princess-Molestia-Comics erinnert, die ich noch während meiner Zeit in der Menschenwelt gesehen hatte. "Oh wie schön, ein Lächeln! Ein freundlicher Ausdruck im Gesichte eines Menschen! Allein dafür hat sich der Weg gelohnt! - Aber etwas nettes Chaos wäre trotzdem nicht zu verachten." "Vielleicht interessiert es dich, daß wir Menschen Chaos-Forschung betreiben? Also versuchen, das Chaos zu verstehen?" "Aber ja! Jean-Luc deutete sogar einmal so etwas an! Und er hat, ich muß es euch leider so deutlich sagen, die besseren Technologien - vielleicht kann er eine Lösung anbieten! Ihr wollt doch das Tor verschließen, richtig? - Wie langweilig", sein Gesicht nahm kurz einen entsprechenden Ausdruck an, "aber ich verstehe schon, daß eure beiden Welten getrennt bleiben sollten. Auch wenn das kein Chaos, sondern Ordnung ist", fügte er grummelnd hinzu. Erneut erschien ein Lichtblitz, und Discord war verschwunden. "Was war das denn jetzt? Wo ist er hin? Hilft er uns nun oder nicht?", fragte ich fassungslos in die Runde. Direkt vor mir schien sich als Antwort die leere Luft zu verbiegen, Discords Hände erschienen, um einen imaginären Vorhang beiseite zu schieben, dann streckte er sein Gesicht durch diesen für mich unsichtbaren Vorhang. "Verrat es nicht weiter", rief er in verschwörerischem Tonfall - für diesen unpassend allerdings viel zu laut. "Aber: ja, lieber schnellmerkender Botschafter, ich versuche, euch zu helfen. Aber dazu muß ich wohl zuerst meinen lieben alten Freund besuchen. Bis gleich!" Sein Kopf zog sich zurück, und das Bild vor mir war wieder normal. Ich verdrehte die Augen. "Ist er immer so? Das hält man doch im Kopf nicht aus! Aber bitte, wenn er uns helfen will..." "Er ist eben Discord - aber deshalb ist er noch lange nicht schlecht oder wirklich böse, es ist einfach seine Art", verteidigte ihn Fluttershy. "Aber warum hat er dann nicht einfach das Tor verschlossen? Ich denke, er ist so allmächtig?!" Rainbow wurde aus Discords Verhalten offenbar ebensowenig schlau wie ich. "Ich vermute ganz stark, daß er es schlicht nicht ohne weiteres kann, genau wie er es gesagt hat. Könnte er es, hätte er das Tor geschlossen, um seine Ruhe zu haben, oder vielleicht noch ein wenig mit uns... gespielt, aber ich hatte wirklich das Gefühl, daß er es tatsächlich nicht alleine verschließen kann." Die Analyse kam von Shining Armor. "Und woher wissen wir, daß er die Wahrheit gesagt hat?" "Da könnt'er mich fragn. Klar, er is' nu' mal Discord, un' ich weiß noch, wie er uns damals verdreht hat, mich ja besonders. Aber letztes Mal, als Celestia ihn frei habn wollte, hab ich ihn auch beobachtet - un' er hat zwar manchmal recht kreativ Sachen nich' dazugesagt, aber kein einziges Mal gelogn. Außerdem is'er nu' einmal mit im Boot, sozusagn, un' wir ham' gar keine andere Wahl, als ihm zu glaubn." Wir rätselten noch ein wenig, wie wir den Auftritt Discords nun zu bewerten hatten, als uns ein bekannt klingendes Rauschen aus Richtung Himmel unterbrach: Soarin' war zurückgekehrt. "Das Fluggerät ist abgestürzt", meldete er, kaum daß er gelandet war. Erstaunt sahen wir ihn an. "Ich hatte ja den Auftrag, das Flugdings zusammen mit den Palastwachen zu verfolgen. Das haben wir getan. Und wir haben selber gestaunt, als wir es gesehen haben: es ist stur geradeaus geflogen, ohne die kleinste Abweichung von Kurs oder Geschwindigkeit." "Und warum ist es dann abgestürzt?" "Nun ja... abgestürzt ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir haben es verfolgt bis zum Felsentrott-Gebirge." Wenn ich mich dessen, was ich bisher über das reale Equestria gelernt hatte, richtig entsann, lag dieses Gebirge etwa 50 km südlich von uns - und bezeichnete ein Gebirge, das es in der Menschenwelt an derselben Stelle auch gab, dort aber natürlich einen anderen Namen trug. "Diese Sonde ist einfach weitergeflogen... ja, bis ihr der erste Berg den Weg versperrt hat. Ist geradeaus und mit voller Geschwindigkeit dagegengeflogen, dadurch natürlich kaputtgegangen und liegengeblieben. Ich weiß nicht, wie ich es anders erklären soll. Wir sind erst in sicherer Entfernung geblieben, aber das Ding hat sich nicht mehr gerührt, also sind wir doch gelandet und haben es uns angesehen. Hat durch den Zusammenprall mit den Felsen natürlich einige Schäden erlitten, aber es liegt wie gesagt jetzt einfach da. Ob davon noch etwas funktioniert, kann ich nicht sagen." "Danke erstmal... Botschafter? Ergibt das einen Sinn?", wandte sich Shining Armor an mich. "Schwer zu sagen. Ich habe mich noch ein wenig schlau gemacht gestern abend. Soweit ich weiß, werden diese Drohnen per Funk ferngesteuert. Warum heute morgen die erste Drohne abgesackt ist, kann ich mir nicht wirklich erklären, aber bei dieser hier kann ich mir denken, was pasiert ist: sie ist nach Equestria gekommen, unmittelbar darauf haben wir das Tor verlagert, und damit war der Funkkontakt weg. In so einem Fall haben die Drohnen auch den vorgesehenen Kurs einprogrammiert, sie schalten automatisch von Funkfernsteuerung auf Autopilot um, um wieder dahin zurückzufliegen, wo sie hergekommen sind. Zum Navigieren werden die Signale der GPS-Satelliten benutzt, aber die gibt es hier natürlich nicht, dann wird anhand der selber ermittelten Daten wie Wind, eigene Geschwindigkeit, gemessene Höhe und dergleichen versucht, weiterzufliegen. GPS gibt es hier wie gesagt nicht, also wußte der Bordcomputer der Drohne schlicht nicht mehr, wo er eigentlich ist, und als letzte Rückfallebene fliegen die Dinger dann wahrscheinlich nach Abarbeiten der einprogrammierten Route immer nur noch stur geradeaus, bis sie wieder irgendein für sie brauchbares Signal empfangen. Das kam freilich nicht, woher auch, deshalb ging es immer weiter auf dem einmal eingeschlagenen Kurs weiter... bis der Berg dann im Weg war. Wäre er das nicht gewesen, wäre früher oder später der Treibstoff ausgegangen, was genauso den Absturz bedeutet hätte." "Das erklärt einiges... also kann davon ausgegangen werden, daß die Wachen und Soarin' nicht durch die Kameraaugen von Menschen gesehen wurden?" "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit: ja." "Dann wäre es vielleicht ganz praktisch, wenn wir das Gerät bergen könnten, damit du es dir ansehen kannst, immerhin enthält es Technik aus deiner Welt. Können Pegasi es gefahrlos transportieren?" "Wenn sie es irgendwie anpacken können und vom Gewicht her vom Boden hochbekommen - ja." "Menschenkrimskrams-Hol-und-Bring-Service, mein Name ist Discordia, was kann ich für Sie tun?", ließ sich eine Stimme in typisch gestelltem Falsetto hinter uns vernehmen. Verblüfft sahen wir uns um - und Soarin' machte einen erschreckten Hüpfer in die Höhe, wo er dann mit den Flügeln flatternd auch gleich blieb. An einem Büroschreibtisch mit typischer Callcenter-Ausstattung darauf saß niemand anderes als Discord - verkleidet mit Langhaarperücke, übertrieben viel Makeup und Lippenstift und in etwas, was er wohl für modische menschliche Frauenkleider hielt. "Hallo, hier ist Discordia, was kann ich für Sie tun?", wiederholte er in derselben Stimmlage wie zuvor, wobei er übertrieben (was für ihn offenbar typisch war) mit den falschen Wimpern klimperte. Ich beschloß, das Spiel mitzuspielen - vielleicht kamen wir so zu einem brauchbaren Ergebnis. "Hier ist Botschafter Michael aus der Menschenwelt, derzeit in Equestria, Ponyville, Sweet Apple Acres, aufgegebener Westteil", sagte ich in die leere Luft und tat so, als würde ich Discord nicht sehen, sondern nur mit ihm telefonieren. "Wir haben eine Drohne zu bergen und zu meinem jetzigen Standort zu bringen. Können Sie das generell leisten?" Die Ponys sahen mich an, als wäre ich nicht recht bei Trost, aber offenbar hatte ich für Discord den richtigen Tonfall getroffen, denn er spielte unser seltsames Rollenspiel unbeirrt weiter. "Aber ja! Eine Drohne bergen und auf die aufgegebene Wiese bei Sweet Apple Acres bringen, das ist kein Problem. Wo dürfen wir abholen?" Ich bedeutete Soarin' mit einer Geste, zu sprechen, und wiederholte diese Geste mit mehr Nachdruck, als er zögerte. "Felsentrott-Gebirge... 33,847 ponymetrische Meilen exakt südlich des Stadtzentrums von Ponyville, Equestria. Ist überhaupt nicht zu verfehlen, es sollten einige Pegasi der royalen Palastwache dort anwesend sein." "Ideal wäre es, wenn die Lieferung sofort erfolgen würde", fügte ich eilig hinzu. "Prompte Lieferung, selbstverständlich, mein Herr. Ich habe mir den Standort notiert. Vielen Dank, daß Sie sich für unseren Menschenkrimskrams-Hol-und-Bring-Service entschieden haben!" Ein Klacken war zu hören, als ob der imaginäre Telefonhörer aufgelegt würde. Einen Lichtblitz später fand ich mich gute fünf Meter über dem Boden in strahlendem Lichtschein unbestimmbarer Herkunft schwebend, und Discord, nun wieder er selbst ohne Verkleidung, stand auf dem Boden und blickte zu mir hinauf. "Bravo! Bravo! Endlich finde ich jemanden, der das Schauspiel so liebt wie ich! Bravo! Ich applaudiere dem Maestro!" Tatsächlich klatschte er begeistert in die Hände und verbeugte sich, wobei ich mir nicht sicher war, ob seine Reaktion nun tatsächlich nur Ironie war oder er sich ehrlich freute, jemandem begegnet zu sein, der auf seine Spielereien einging. Die Erscheinung verging, und ich fand mich wieder auf dem Boden. Ein weiterer Lichtblitz leuchtete auf, und vor mir erschien die Drohne - oder vielmehr das, was noch von ihr übrig war. Ich sah auf. "Danke. Ich werde mir das Ding hier dann gleich vornehmen. Was hat eigentlich dein Freund gesagt? Bekommen wir Hilfe dabei, dieses Tor zu verschließen?" Discord verdrehte die Augen - was bei ihm wörtlich zu nehmen war. "Ja, der gute alte Jean-Luc... ich habe ihm erzählt, was Sache ist, aber er war mal wieder nur mit seinem Kram beschäftigt. Hat gesagt, wenn auch nur ein Mensch beteiligt ist und es eine Lösung gibt, dann finden Menschen allgemein sie auch ohne meine Unterstützung... ja, das tut weh, so kann man sich irren." Er setzte erneut einen betrübten Gesichtsausdruck auf. "Ich wäre für jede Hilfe dankbar", antwortete ich. "Er hat noch mehr gesagt... hat gesagt, wenn es einen Botschafter gibt, gibt es auch eine diplomatische Lösung. Dann hat er mich... ähm, ja, gebeten zu gehen. Schade, aber nicht zu ändern." "Also bekommen wir keine technologische Unterstützung?" "Nein - würde nicht darauf wetten." Discords Gesichtsausdruck änderte sich abermals: jetzt schwankte er zwischen unbeteiligt und gelangweilt, dazu passend betrachtete er sich scheinbar interessiert seine Fingernägel. Ich schnaufte. "Naja, den Versuch wars wohl wert." "Ähm - wenn ich kurz stören darf", meldete sich Soarin' zu Wort. "Wenn ich hier nicht mehr gebraucht werde, würde ich gern aufbrechen, zurück nach Cloudsdale. Für diejenigen, die nicht dabei waren, sage ich es nochmal dazu: ich habe angeboten, Arados - ich meine, Captain Flashs Tochter bei mir aufzunehmen, solange er im Krankenhaus liegt, deshalb sollte ich mich jetzt auf den Weg begeben." "Arado Flash hat eine Tochter?", fragte Shining erstaunt, schob den Gedanken aber offenbar gleich wieder zur Seite. "Natürlich - danke für die Mitarbeit bisher. Hier kannst du wohl im Moment sowieso nichts weiter ausrichten." Soarin' breitete seine Schwingen aus und schickte sich an, abzuheben, überlegte es sich aber noch einmal anders und wandte sich an Rainbow. "Sehen wir uns nächstes Wochenende? Wirst du mit uns fliegen?" Die Angesprochene sah den Pegasushengst fragend an, scheinbar verstand sie im Moment nicht ganz, wovon er überhaupt sprach. "Mit euch fliegen? Du meinst, mit den Wonderbolts?" "Genau! Bei der Flugshow in Manehattan! Wenn sie stattfindet und das Dings hier bis dahin erledigt ist... heißt das." "Darauf würde ich nicht wetten, Soarin'", schaltete sich Shining Armor ein. "Richte den Wonderbolts bitte aus, falls es noch nicht schon geschehen ist: bis auf weiteres gilt für alle Defensivkräfte Equestrias Roter Alarm. Du weißt, was das für euch heißt: keine Flugshows, stattdessen ständige Bereitschaft... falls wir die Flugtruppe dafür brauchen, wofür sie ursprünglich gedacht war." Shining Armors Gesicht verfinsterte sich in einer Mischung aus Trauer und grimmiger Entschlossenheit, offenbar nahm er seinen (wenn auch wahrscheinlich nur vorübergehenden) Job als von Celestia eingesetzter Sicherheitschef sehr ernst. Soarin' seufzte. "Also keine Flugshow... habe ich mir bald gedacht, auch wenn ich mir immer gewünscht habe, Roter Alarm möge nie verhängt werden, solange ich dabei bin - aber das geht wahrscheinlich allen Wonderbolt-Fliegern so. Trotzdem, Rainbow - ab sofort steht dir eine Karriere bei uns offen, und hätte ich es bisher nicht gewußt, so hätte mich spätestens deine heutige Vorstellung überzeugt. Aber solange Roter Alarm ausgerufen ist, nehmen wir sowieso keine Neumitglieder auf - aber das dauert ja hoffentlich nicht ewig, und wenn du danach zu uns kommen willst...?" Rainbow sah den Pegasus mit undeutbarem Gesichtsausdruck an, ging dann aber ein paar Schritte zur Seite und kuschelte sich demonstrativ an Applejack, nachdem sie einen Flügel über deren Rücken gelegt hatte. "Bedaure, Soarin'. Aber ich habe für mich herausgefunden, was mir wirklich wichtig ist im Leben. Vielleicht kann ich ja als Gaststar irgendwann in einer Solonummer mit auftreten?" Sie sah mit großen Augen hoffnungsvoll auf den aktiven Wonderbolt. "Doch, ich denke, das wird sich einrichten lassen... Gastfliegerin mit Solonummer, ja, da seh ich Möglichkeiten. - Wir sehen uns... hoffentlich. Auf Wiedersehen, everypony." Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck hob der Hengst nun endgültig vom Boden ab und schwebte davon. "Ooooch, wie langweilig - Roter Alarm", äffte Discord den Tonfall von Shining Armor nach, was diesem ein ärgerliches Schnauben entlockte. "Muß sowas denn überall gleich heißen? Menschen, Ponys, überall, wo ich bisher war, überall der gleiche langweilige Einheitsbrei - wie wäre es denn mal mit Chaos voraus! oder etwas in der Art?" Shining Armor sah ihn an, als würde er ernsthaft an Discords Verstand zweifeln, enthielt sich klugerweise aber jeder Antwort. Ich hatte meine Aufmerksamkeit derweilen wieder dem Tor zugewendet und besah es mir zum ersten Mal, seitdem es auf der Wiese erschienen war, genauer. Genau wie durch das Tor am Himmel konnte ich durch die Begrenzung aus zischelnden kleinen Blitzen hindurchsehen in die Welt der Menschen. Offenbar befand sich an der entsprechenden Stelle in der Welt der Menschen ebenfalls eine Wiese mit vereinzelten Büschen: ein Strauch stand wie abgeschnitten mitten in der Begrenzung, ein weiterer recht genau im Zentrum der Erscheinung. Durch die Anomalie hindurch sah ich in einiger Entfernung die Autobahn vor einem Waldstück verlaufen. Ich machte mich auf den Weg, das Tor einmal in sicherer Entfernung zu umrunden - begleitet von den Ponys und einem schwerelos schwebenden Discord, der uns interessiert zusah, sich aber erstaunlicherweise jeden Kommentars enthielt. Als Ergebnis sah ich, daß das Tor freien Durchblick in alle Richtungen bot - genau wie sein Gegenstück am Himmel. Als ich an der Stelle angekommen war, in der ich in Equestria einen direkten Blick nach Ponyville gehabt hätte, sah ich es: die Gegend, die sich in der Menschenwelt an der Stelle Equestrias befand, war vom Militär völlig abgeriegelt worden. Ich sah in der Ferne Absperrungen aus Messerdraht, Fahrzeuge aller Art sowie Container, in denen sich verschiedene Einrichtungen befinden mochten, und natürlich standen auch mehrere Helikopter bereit. Über der Szenerie lag hektische Betriebsamkeit: ich sah Soldaten hin- und herrennen, Meßgeräte und Sensoren wurden auf- und wieder abgebaut, Spähposten starrten mit Ferngläsern in den Himmel, vermutlich auf die Stelle, an der sich das Tor befunden hatte - die Verlagerung hatte offenbar für reichlich Wirbel gesorgt. Im Grunde glich es einem Wunder, daß noch niemand das neue Tor am Boden entdeckt hatte, aber das konnte mit Sicherheit nicht mehr lange dauern und lag vermutlich daran, daß der jetzige Übergang einige Kilometer entfernt, außerhalb des innersten Sperrbezirkes, entstanden war und damit in einem Bereich lag, der nicht permanent komplett überwacht wurde und auch gar nicht dauerhaft überwacht werden konnte. Meiner Schätzung nach waren rund um den Ort des alten Tores mehrere ringförmige Sperrzonen errichtet worden, aus denen zwar die Zivilbevölkerung evakuiert worden war und zu denen der Zutritt strengstens kontrolliert werden würde, die sich aber unmöglich permanent auf Veränderungen hin überwachen ließen. Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis neueste Satellitenaufnahmen die Verlagerung des Tores anzeigen würden - oder bis zufällig jemand einfach mit dem Fernglas in die richtige Richtung sah. Ich versäumte es nicht, den Ponys meine Überlegungen mitzuteilen. Nach vielleicht einer halben Stunde hatten wir unseren Rundgang beendet und standen wieder vor den Resten der Drohne. "Ich muß meine Entscheidung von vorhin revidieren. Das Ding muß hier schleunigst weg", bestimmte ich. "Warum das? Liegt doch gut hier, hier ist der Schrott keinem im Weg!", kommentierte Discord. Shining Armor nahm mir die Mühe der Antwort ab. "Michael hat recht. Überlegt mal: wenn die Menschen das neue Tor finden, und das werden sie, können sie genauso zu uns gucken, wie wir sie auch sehen. Und was für ein Bild macht es wohl, wenn sie als erstes ihr Fluggerät sehen, offensichtlich zerstört und am Boden? Ich zumindest würde von demonstrativer Aggressivität ausgehen, und das kann für uns wohl kaum gut sein." "Das weiß ich doch... warum müßt ihr immer so langweilig-korrekt sein." Discord schnaubte ergeben. "Aber bitte... wohin mit dem Ding? Wenn ich euch wenigstens damit eine Freude machen kann..." Ich überlegte nur kurz. "Auf den Haupthof von Sweet Apple Acres, bitte. Dort habe ich Platz, um mir das Ding genauer anzusehen, aber ohne dabei selber von den Menschen gesehen zu werden." "Zu Diensten, Botschafter." Mit gleichmütigem Gesichtsausdruck schnipste Discord mit den Fingern, und die beschädigte Drohne vor mir verschwand. "Sollt' vielleicht gleich ma' hin, meiner Familie Bescheid sagn, daß'se keine Panik kriegn", kommentierte Applejack, um sich in die entsprechende Richtung umzuwenden. Discord setzte zu einem erneuten Fingerschnippen an, aber das orangene Farmpony hatte die Bewegung offenbar noch gesehen, hielt in der Bewegung inne und wandte sich an das Mischlebewesen. "Danke, aber: nein. Ich bin gut zu Huf." Ihre Stimme war bei diesen Worten kalt wie Eis und völlig akzentfrei. Abrupt wandte sie sich wieder um und galoppierte davon, während Discord, scheinbar enttäuscht über die harsche Abfuhr, den Kopf schüttelte. Ich registrierte noch, wie Fluttershy zu ihm ging und ihm in einer tröstenden Geste einen Flügel entgegenstreckte, dann wandte ich mich Shining Armor und Rainbow zu. "Ihr habt gesehen, was Sache ist. Es ist davon auszugehen, daß die Menschen das Tor komplett umstellen werden, mit Scheinwerfern, Nachtsichtgeräten... dem vollen Programm eben. Heißt für uns: hier darf kein Pony zu sehen sein, wenn irgendwie möglich. Gibt es einen Sichtschutz-Zauber, den du über das Tor legen könntest, damit niemand durchgucken kann?" Der weiße Hengst schüttelte den Kopf. "Bedaure. Ich kann nur einen normalen Schutzschild wirken, der verhindert, daß Lebewesen unkontrolliert und ohne Erlaubnis das Tor durchqueren, aber dieser Zauber unterbindet nicht den Sichtkontakt und wirkt auch nicht bei leblosen Gegenständen... wie etwa euren automatischen Spürgeräten, also wie etwa bei dieser Drohne." "Gut... besser als nichts ist es allemal. Wir sollten diesen Schutzschild aktivieren und dann möglichst die Wiese hier verlassen, aber doch in der Nähe bleiben, um zu sehen, wenn eben etwa eine Bodendrohne herüberkommt." "Ich kann hochfliegen in die Bäume! Ich kann mich in den Kronen aufhalten und das Geschehen beobachten! Da drin sieht mich keiner", bot sich Rainbow an, aber ich schüttelte nur den Kopf. "Lieb gemeint, aber zu riskant. Kann schon sein, daß man dich nicht direkt sieht, aber wir Menschen haben auch Wärmebildkameras, die nicht nur das anzeigen, was man direkt sieht, sondern auch Wärmestrahlung - und genau wie jedes andere Pony und auch ich gibst du Wärme ab und würdest damit auf entsprechenden Geräten sofort grell aufleuchten, egal, wie gut du dich rein optisch hinter den Blättern verstecken würdest." "Ooooch. Schade." Die Enttäuschung war ihr anzusehen. "Trotzdem muß das Tor auch von unserer Seite überwacht werden. Wie machen wir das am besten?" "Wird am sinnvollsten sein wie bisher: mit der Palastwache. Ihr Befehl lautete, als vorübergehenden Stützpunkt Ponyville anzusehen, sie werden also inzwischen vom Felsentrott-Gebirge dorthin geflogen sein. Rainbow Dash - da ich hier bleiben muß, um den Schutzschild zu wirken, beauftrage ich dich hiermit, nach Ponyville zu fliegen und die Wachen herzuholen. Wir werden sie dann hier gleichmäßig hinter den Bäumen verteilen, so, daß sie das Tor im Blick haben, Wärmebildkameras der Menschen hin oder her. Wenigstens erscheint dann nicht nur ein Wesen darauf, sondern viele und die gleichmäßig verteilt." "Wird gemacht!" Einen regenbogenfarbigen Streifen zurücklassend, verschwand das hellblaue Pegasuspony. "Dann komme ich jetzt hier allein zurecht, bis meine Garden da sind." Damit war ich offenbar entlassen. Ich sah noch zu, wie Shining Armor die Augen schloß und sein Horn zu glühen begann. Von der Spitze beginnend, begann sich eine schwach violett leuchtende Kuppel über die Anomalie zu legen - ein Vorgang, der nach wenigen Sekunden beendet war. Discord, der inzwischen wie die Grinsekatze (sogar mit dem demselben Gesichtsausdruck und entsprechenden interessierten Grinsen) aus Alce in Wonderland auf einem tiefhängenden Ast eines Apfelbaumes lag und uns interessiert zugesehen hatte, sah mich an. "Taxi gefällig, der Herr?" "Warum nicht... bis zum Haupthof ist es von hier ein beachtliches Stück, und zu Fuß sind wir Menschen nun einmal nicht besonders schnell." "Wie schön, daß meine Dienste gewünscht und geschätzt werden, auch wenn ich kein Chaos verbreiten darf. Aber ich ziehe mich dann zurück, für heute passiert ja offenbar nichts mehr, zumal es ja sowieso schon fast Abend ist - also dann, düdeljüdö-höö!" Damit schnipste er erneut mit den Fingern, und sowohl ich als auch Fluttershy fanden uns unversehens auf dem Hof von Sweet Apple Acres, direkt vor der beschädigten Drohne, wieder.